Wir waren auf der großen Demo am 27. Februar 2022 zwischen Brandenburger Siegtor und dem speerschen Triumphpimmel (siehe das Beweisfoto oben). Bis auf ein sonderbares Gefühl, weil sich eine Friedensdemo ausgerechnet hier trifft, war anfangs das Feeling noch ganz ok. Nette Leute mit Durchsagen, die sich bedanken, dass man da ist und brav weiter geht. So einfach und easy sind wir selten gelobt worden. Doch dann trafen wir Solidaritätsbekundungen mit „dem ukranischen Volk“ und Rufe nach Militärintervention und Aufrüstung. Und jede Menge Schilder mit sexistischen Dreck und auf einen Wettbewerb, wer den dümmsten Nazi-Vergleich macht. Unterm Strich blieb ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Wir haben uns selten beim Politik machen so wenig wirkmächtig gefühlt wie gestern.
Nationalismus
Der mit Abstand beliebteste Slogan auf Schildern und Bannern war irgendwas mit Solidarität und Ukraine, gefolgt von „No War“, Frieden, Mir, usw. Beim Flyer verteilen wurden wir mehrmals belehrt, dass es sich nicht um eine Veranstaltung für Frieden oder Abrüstung handeln würde, sondern um eine Solidaritäts-Veranstaltung im obigen Sinne. Vereinzelt begegnete uns auch das parallele Schwarz-Rot der ukrainischen Rechten, das an die Farben der OUN (faschistische Organisation aus die 1924 gegründet wurde, für deren Anführer jetzt Denkmäler gebaut werden) angelehnt ist.
Jubel für die EU und die Regierung
Weit verbreitet war ein Hoch auf die Regierung: Blaue Europafahnen mit gelben Sternchen passen ja auch gut zum Blau-Gelb der Ukrainischen Flagge. Vom Podium wurden von Redner*in Waffenlieferungen gefordert. Das unterstützen viele Leute, die die Demo besucht haben:
Auch Militärinterventionen wurden oft gefordert:
Gemeinsam abhitlern
Hoch im Kurs standen jedoch auch Gleichsetzungen von Putin mit Hitler. Es ist völig geschichtsvergessen und die deutschen Verbrechen relativierend, wenn man Hitler, die Nazis, die Shoa, usw. mit einem gernegroßen Wald-und-Wiesen-Westentaschen-Diktatörchen wie Putin gleichsetzt. Hier zeigt sich, wie Vergangenheitsbewältigung in der Friedensbewegung funktioniert. Statt was sinnvolles zur deutschen Geschichte zu sagen und Konsequenzen zu ziehen, schafft man sich ein gutes Gewissen, indem man Hitler völlig kontextlos mit den Bad Guys anderer Länder zusammen wirft. Quasi nebenbei tut man damit so, als seien die Nazis eine kleine Clique gewesen, die 1945 wieder in ihr Ufo gestiegen sei und weg war. Das negiert, dass Millionen Deutsche die Naziherrschaft geil fangen und sich nach Strich und Faden an ihren Opfern bereichert haben.
Und hier ne ganz kreative Variante:
Das Abhitlern geht na klar auch in homophob:
Die Totalitarismus-Theorie in Bildsprache konnte man auch bewundern:
Man fast sich echt an den Kopp, wie Deutsche am Vorabend einer Demo in ihren Wohnzimmern und WG-Küchen auf die Idee kommen können, dass Hitlerbärtchen malen ein gelungener Ausdruck eines Wunsches nach Frieden sein könnte.
Entnazifizieren?
Ganz ähnlich wirken Slogans, die Putins Wording von der angeblich notwendigen „Entnazifizerung“ der Ukraine gegen ihn selbst wenden. Das geschichtslose Wording wird dadurch nicht besser.
Völlig geschichtsvergessen sind auch Schilder, die den aktuellen Krieg in der Ukraine, an dem der Westen sich ja weigert, teilzunehmen, als „Weltkrieg“ darstellen. Zur Erinnerung: Wer fängt nochmal immer die Weltkriege an?
Den Tiefpunkt in diese Richtung markierten Schilder, die die russische Armee mit der SS gleichsetzten. Wobei wir natürlich einschränkend hinzufügen müssen, dass wir nicht wissen, ob das immer Kartoffeldeutsche waren, die solche Schilder hoch hielten oder eben nicht.
Das russische Kriegsschiff gabs auch in Light-Versionen. Wobei sich auch hier die Frage stellt, was für Gesellschafts- und Geschlechterrollenbilder man im Kopf haben muss, um die Story geil zu finden.
Wie besoffen so Massenveranstaltungen wie gestern die Deutschen immer noch machen, wenn sie mit Krieg und Nationalismus einhergehen, zeigt ein Schild, das gefährlich nah am guten alten „Endlich! Deutschand erwache!“ ist. Man merkt da richtig, wie sehr die Leute sich freuen, das ihr Land wieder wer ist.
Putins Gemächt sorgt für Spekulationen
Außerdem sehr beliebt waren Schilder, die sich mit Herrn Putins Gemächt beschäftigten. Uneinigkeit herrschte jedoch, ob dieses nun sehr groß oder doch eher zu klein sei. Mehrere Menschen nutzten dies auch für homophobe Darstellungen.
Und natürlich kann man als guter Deutscher problemlos das Spekulieren über Putins Gemächt auch mit Abhitlern verbinden:
Fake-News vom Podium
Richtig schlimm war, dass eine Person auf dem Podium forderte, dass Putin den „Genozid“ in der Ukraine zu stoppen habe. In der Ukraine findet, nach allem was wir so mitbekommen, kein Genozid statt (die Armee überfährt die Ukrainer*innen bisher ja nicht mal, wenn sie sich vor die Panzer stellen…). Und den letzten Genozid in der Ukraine hat ganz wer anders veranstaltet und den Tätern wird z.B. in unserem Polizeirevier am Tempelhofer Damm immer noch gedacht.
Solidarität für alle Flüchtenden
Die in unseren Augen zwei besten Reden kamen einerseits von einer Person mit syrischem Background, die mehrmals eindringlich forderte, die spontane Aufnahmebereitschaft gegenüber ukrainischen Refugees endlich auf alle Flüchtenden auszudehnen, im konkreten zumindestens mal auf afrikanische und indische Gaststudis, die jetzt auch aus der Ukraine gen Polen weg wollen. Einige von ihnen berichteten, von ukrainischen und/ oder polnischen Grenzern aufgehalten oder zurückgeschickt worden sein. Solche pikanten Details gingen in den anderen Reden vor lauter „Sprachlosigkeit“ und „Solidarität“ völlig unter.
Mehr dazu:
https://www.berliner-kurier.de/politik-wirtschaft/putins-krieg-in-der-ukraine-polen-schickt-afrikanische-studenten-zurueck-ins-kriegsland-li.214193
Abrüstungs-Rede auf dem letzten Platz
Die zweite, tatsächlich friedenspolitische Rede war die von Michael Müller, Vorsitzender der Naturfreunde. Leider wurde er vom Programmteam auf den letzten Platz ausgebootet, als schon x-Prozent der Leute wieder auf dem Heimweg waren. Jedenfalls war er nach unserem Vernehmen der einzige, der konsequente Abrüstungspolitik auch im Angsicht des Krieges zum Leitbild seiner Rede machte (mit Abstrichen haben wir das auch von IPPNW vernommen, allerdings naturgemäß vor allem mit dem Fokus auf Nuklearwaffen…). Bemerkenswert: In den für Applaus vorgesehenen Pausen gabs bei seiner Rede meistens keinen Applaus.
Kaum Wahnwichtel
Interessantes Detail: Kaum Wahnwichtel weit und breit. Denen war doch 2014 die Ukraine so ein wichtiges Anliegen, dass die DFG-VK die zunächst für so seriös hielt, dass man mit denen gemeinsam die gruselige Friedenswinter-Kampagne machen wollte. Wo sind die jetzt nur hin?
Warum schreiben wir son Schrott?
Nicht so schön hingegen ist die Berichterstattung in unseren eigenen Medien. Auf der Seite der DFG-VK ist sogar ein Bild veröffentlicht, wo man ein Schild mit der wenig friedensfreundlichen Botschaft „Stop war – hate Putin“ lesen kann.
Trotzdem findet sich dort kein Wort zu den etwas sonderbaren Teilnehmenden oder gar der problematischen inhaltlichen Ausrichtung der Kundgebung. Stattdessen feiert unser PR-Team völlig unkritisch „500.000 für den Stopp des Krieges“ und zieht Vergleiche zur unsäglichen „Wir sind wieder wer“! und „Danke Schröder!“- Demo im Frühjahr 2003 gegen den Irak-Krieg.
Warum so schweigsam, liebe Friedensbewegung?
Warum sagen wir, sagt ihr nichts zu den beschissen Sachen sondern feiert das ab?
Haben wir durch das Ding ein einziges Mitglied gewonnen? Kriegen wir einen einzigen Cent von den Spenden von Campact ab?
Und falls ja: Wollen wir solche Mitglieder?
Wir sollten uns lieber auf unsere Stärken besinnen und vor Ort mit unseren Basisgruppen langfristige Politik machen, statt Energie in alberne Events zu stecken.