Friedensbewegung, wir müssen reden: Ein Bericht zur Demo „Zivile Zeitenwende“ am 4. Juli

Ein Mitglied der amab war mit anderen Mitgliedern des Vorstandes des Landesverbandes Berlin gestern bei der Demo „Zivile Zeitenwende“. In seinem Bericht kritisiert er, dass man entgegen der Angaben der Veranstaltenden kaum von einer Großdemo sprechen könne. Außerdem zeigen die gezeigten Banner, dass x% der Teilnehmenden nach wie vor Russland unhinterfragt abfeiern. Hier der Bericht:

Schnell aus der U-Bahn raus, ich bin spät dran. Ich will zur Demo „Zivile Zeitenwende“. Die Demo wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag organisiert. Der Aufruf zur „Großdemo“ wurde u.a. von der DFG-VK in Bayern, NRW, Flensburg, Lübeck und Jürgen Grässlin unterstützt. Der Bundessprecher*innenkreis der DFG-VK unterstützte die Demo nicht. Aus guten Gründen, wie sich zeigte. Auf der Rolltreppe fällt mir die Stille auf: Bin ich falsch? Müsste eine bundesweite Großdemo nicht auch eine große Geräuschkulisse haben?

Oben angekommen: Immerhin viele Streifenwagen. Ich bin also richtig und hab nicht etwa Zeit oder Ort vercheckt…

Also schnell um die Ecke zum Bebelplatz, da ist die Großdemo:

Äh… ja…. ach! Da hinten: Also eher ein Großdemoleinchen.

Das Bild wurde gegen 14.30 aufgenommen, ich war nicht etwa zu früh da, sondern ne halbe Stunde nach Beginn. Und ich hab auch nicht ne besonders bescheuerte Perspektive gesucht. Das sah da wirklich so aus.

Ich hab beim Defilee gezählt und dann noch 25% aufgeschlagen: Es waren 600-800 Menschen da. Wie die Cops hinterher gegenüber der dpa auf 1400 und die Veranstaltenden auf die Mondzahl 4000 kommen werden, ist mir schleierhaft.

edit 7.7.22: Peter Nowak war bei der Abschlusskundgebung. Im nd schreibt er von „weniger als 1000“ Menschen. Es sins also also während des Marsches auch nicht tausende von Menschen vom Himmel gefallen. Jemand von den Kommies hat ein Zeitraffer-Video des auch von mir beobachteten Demo-Startes ins Netz gestellt. Es zeigt sehr deutlich, dass wir es mit hunderten Menschen, nicht mit tausenden zu tun haben:

Die Hälfte der Teilnehmenden ist mit kommunistischen Grüppchen da. Kirchen, zivilgesellschaftliche Initiativen, die Massen von linken Sozialdemokrat*innen, die es da draußen in der Gesellschaft angeblich geben soll, Parteien, die mehr als 5% haben: Fehlanzeige.

Entsprechend gruselig ist vertretende Meinungsspektrum. „Friede mit Russland“ dominiert die Veranstaltung:

Und allerlei wirres Zeug, dass ich teilweise auch nicht verstanden hab:

Als ob die Nato am 24.2. die Ukraine angegriffen hätte…

Inhaltlich besonders geistreich: Die Berliner Friko. Die Friko hat sich nicht mal die Mühe gemacht, für die Demo ein neues Banner zu machen, sondern recycelt einfach ein bereits bekanntes. Als ob am 24. Februar nichts wichtiges passiert wäre…

Eine Verurteilung des Angriffes sehe und höre ich nicht. Nach langem gezielten Suchen finde ich lediglich ein einziges (!) Schild, dass als Verurteilung Russlands durchgehen könnte:

Das bereits ganz oben gezeigte Putin-Heiligenbild mit Peace-Handzeichen ist nur die Spitze des Eisbergs. Angesichts all der Russland-freundlichen Plakate könnte man meinen, dass das Plakat eine gelungene Satire sei. Doch wer die COOP kennt weiß: Da geht es toternst um allerlei Verschwörungswahn und das letzte Mal, als die versucht haben, satirisch zu sein, endete das mit homophoben Putin-Postern. Hier nochmal:

BASIS nicht da
Trotz des Satzes mit „Profiteure sind einzig die Chefetagen von Banken und Rüstungskonzernen“ im Demo-Aufruf tritt DIE BASIS oder andere Schwurbelz nicht offen auf. Aber „Stop Ramstein“ ist na klar da, wenn mit verkürzter Kapitalismus-Kritik geworben wird:

Und wie soll man dieses Schild auf dieser Demo verstehen?

Rechtfertigt da schon wer im Vorfeld die hochgelogenen Teilnehmerzahlen, die der Bundesausschuss Friedensratschlag nach der Demo an die dpa melden wird? Oder eine Anspielung auf Butscha und die Verschwörungserzählungen dazu?

Der Pimmel-Typ
Und na klar gibt’s in Deutschland keine Friedensdemo ohne Typen, die es irgendwie mit Pimmeln haben:

Dass das Fehlen von DIE BASIS und anderen Nazi-Schwurbeln nicht selbstverständlich ist, zeigen zwei Typen, die die Lage sondieren. Einer trägt ganz offen das T-Shirt einer Nazi-Band. Es hat sich rumgesprochen, dass man als Fascho auf Friedensdemos nichts zu befürchten hat.

(edit 4.7.2022: Mittlerweile berichtet Julius Geiler im Tagesspargel, dass da doch rechte Schwurbelz waren und dass die nach dem Loslaufen Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen angegriffen haben:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/unfriedliche-friedensdemo-journalisten-und-gegendemonstranten-bei-anti-kriegs-kundgebung-in-berlin-attackiert/28478580.html ).

Brandenburger gegen US-Atomwaffen?
Außerdem mit dabei: „Brandenburger gegen die US-Atomwaffen in Büchel“.

Ich hab im Netz nichts dazu gefunden, aber das mit dem Wappen, die nationalistische Bezeichnung und der anti-amerikanische Fokus erinnern mich doch stark an frühere Vereinahmungsversuche der NPD oder der Autonomen Nationalist*innen. Und falls das keine Faschos sind, sollten die sich mal fragen, warum sie Symbole und Begriffe nehmen, die es den Nazis leicht machen, sich einzuklinken (falls jemand mehr über diese Gruppe weiß, bitte Infos an amab@riseup.net).

(edit 3.7.22: Wir haben nen Tip bekommen: Das sind keine Nazis, die gehören wohl irgendwie zur Linkspartei im Havelland. Vielen Dank für den Hinweis).

Skurril bis rechtsoffen auch das hier:

Noch Fragen?

Angriffskrieg egal?
Von den Redebeiträgen habe ich wenig mitbekommen, da ich mich mit mit weit angereisten Genoss*innen aus der DFG-VK über den Sinn und Zweck der Veranstaltung ausgetauscht habe. Ein ebenfalls anwesender Genosse berichtete, DKP-Chef Köbele habe zu Beginn der Kundgebung erklärt, „wir“ hätten unterschiedliche Ansichten zum Krieg in der Ukraine, aber das sei nicht so wichtig, weil uns die Ablehnung der NATO eine. Eine Demo, auf der es egal ist, wie man zu einem Angriffskrieg steht, ist definitiv nicht meine. Wir haben dann die Demo verlassen.

Fazit
Gut, dass der Bundesverband der DFG-VK im Gegensatz zu den Landesverbänden NRW und Bayern nicht zur Demo aufgerufen hat. Denn inhaltlich war die Demo eine Katastrophe. Für die Russlandfreunde in der DFG-VK, denen die Menschenrechtslage in Russland lange egal war, war der 24. Februar zum Glück ein zumindest zeitweise recht heilsamer Schock. Dies zeigt die Abschlusserklärung des Buko 2022, wo es gleich im ersten Absatz heißt: (Wir) „fordern den sofortigen Stopp der völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands auf die Ukraine: Wir protestieren gegen die imperialistische und militaristische Großmachtpolitik der russischen Regierung!“

Dahinter sollten wir nicht zurückfallen. Zum einen, weil das selbstverständlich sein sollte. Aber auch, weil nur wer den russischen Krieg kritisiert, glaubwürdig ist, wenn wir die deutsche Politik kritisieren.

Und von dem Ding mit den „Großdemos“ müssen wir runter kommen. Dass immer die selben Leute einem ganz beseelt davon erzählen, dass wir eine „Großdemo“ machen müssen und dann auch daran glauben, dass das klappt. Und die dann trotzdem weiter machen, obwohl die letzten 10? 20? Großdemos beim besten Willen keine Großdemos waren?

Statt dass mit den Großdemoleinchens stupide weiter zu predigen, sollten wir unsere (deutlich begrenzte!) Kapazität lieber in inhaltliche Auseinandersetzung stecken. Denn das ist dringend notwendig, wie die Ausrichtung der Demo gestern zeigt. Und dann, wenn wir aus der inhaltlichen Erstarrung raus sind, sollten wir vor Ort lokale Aktionen machen, um Leute vor Ort in unseren Kontexten von einer pazifistischen Politik zu überzeugen. Und wenn das geschafft ist, können wir vielleicht mal wieder über nen Versuch reden, tatsächlich 4000 Leute zu einer Demo zusammen zu bringen. Und vielleicht schaffen wir das dann auch mit Selbstkritik und Realitätsbezug, ohne dass dann gleich als „Großdemo“ abzufeiern.

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