Heute war die Demo von Sarah, Alice und Tino. Wir waren dort mit unserem Banner „Angriffskrieg ist Angriffskrieg. Gegen Putinfans und Verschwörungswahn!“ Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, was schönes zu machen, aber dann waren wir doch zu neugierig. Wie viele Sarah-Fans kommen wirklich, wenn 400.000 unterschreiben? Und würden die Nazis Jürgen Elsässers Vorschlag aus dem Compact-Magazin, man solle auf der Demo zu Sarahs Füßen ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer wehen lassen, wahr werden? Doch die Realität war dann doch nicht ganz so schlimm. Den Nazis fehlte die Masse und von Sarahs Fans schafften es nur ca. 2% zur Demo. Doch der Reihe nach, hier unser Bericht:
Zu Beginn das Wichtigste: Von den über 400.000 Unterzeichner*innen von Sarahs und Alices Friede-Freude-Eierkuchen-Manifest ist kaum wer gekommen. Die Demo reichte vom Brandenburger Tor gerade mal mit gutem Willen bis knapp vor die Panzer vom Sowjetischen Ehrenmal.
Alice und Sarah halluzinieren, dass über 50.000 Menschen da gewesen seien. Die Cops sprechen von „über 10.000“ und/oder 13.000 Menschen. Mit Blick auf die Karte stellt sich uns die Frage, ob überhaupt 10.000 Leute da waren…
Und auch das von Elsässer versprochene schwarz-rot-goldene Fahnenmeer gab es nicht. Zwar konnten sich die zahlreich anwesenden Neonazis in der Demo wie Fische im Wasser bewegen. Sie verzichteten jedoch auf offene Erkennungszeichen, sodass die Demo von biodeutschen Bürger*innentumskartoffel*innen ab 55 Jahre geprägt war. Eine Entwarnung ist das jedoch nicht. Doch ab hier chronologisch der Reihe nach.
Wir waren ne Stunde zu früh dran. Deswegen sind erstmal zu Ennos Panzer. Enno Lenze ist Direktor seines eigenen Museums. Die „Berlin Story“ im alten Eisenbahnbunker am Anhalter Bahnhof zeigt die Berliner Geschichte. Enno hat sich in der Ukraine einen kaputt gesprengten russischen T-72 klar gemacht, den nach Berlin geschleppt und den Schrott direkt vor den Eingang der russischen Botschaft geklatscht. Eigentlich ja genau unser Humor. Aber Enno wünscht sich eine eindeutige russische Niederlage und sein Mitorganisator Wieland Giebel unterschreibt schon mal mit „Slava Ukraini“. Klar: Das ist genauso sehr oder wenig per se braun wie unsere dritte Strophe des „Deutschland-Liedes“, aber das singen wir ja schließlich aus genau diesem Grund auch nicht.
Was auf jeden Fall ein Problem mit Ennos Panzer ist, dass ein großer eindeutiger Slogan fehlt. Mit kleinen Änderungen lässt sich das ganze Ding umdeuten:
Da steht irgendwas, dass die Ukraine Kinder im Donbas killt und dass das 2014 ein Putsch war und sonstige Kreml-Narrative. Leider kommt unsere Kamera im Schnee auf weise Zettel nicht so klar.
Derweil haben das auch irgendwelche Russland-Fans geschnallt. Von irgendwoher haben sie hunderte langstielige Rosen aufgetrieben und fummeln diese am Panzer fest. Unser Verdacht: Mitarbeitenden der Botschaft. Wir fragen nach: Die Rosen seien für die Toten auf beiden Seiten.
Friedliche Friedensschwurbel?
Während wir noch am Panzer stehen und versuchen, und eine Meinung zu dem Ding zu bilden, strömen bereits die Friedensschwurbel an uns vorbei zum Brandenburger Tor. Alice wird später im Fernsehen sagen, sie habe keinen „Vorfall“ mitbekommen. Wir beobachten in der halben Stunde am Panzer gleich vier Raufhändel. Alle 7,5 Minuten eins?
Die Raufereien laufen immer nach dem selben Muster ab: Ein ganz friedlicher Friedensschwurbel macht am Panzer rum, klettert z. B. drauf, macht die Ukraine-Fahnen kaputt oder hängt eine Russland-Fahne dran.
Enno himself oder einer seiner Ordner*innen spricht den friedlichen Friedensschwurbel an und versucht ihn abzudrängen. Der friedliche Friedensschwurbel schimpft, stößt und/oder schlägt um sich. Erst tut sich die Polizei schwer, dann ziehen sie die unfriedlichen Friedensschwurbel raus, letztlich kokonen sie den Panzer-Schrott. Immer wieder kommt es von Menschen, die augenscheinlich zur Kundgebung wollen, zu rassistischen Pöbeleinen gegenüber Menschen, die sich offen als solidarisch mit der Ukraine zeigen.
Wir fühlen uns angesichts dieser Performance von toxischer Männlichkeit in „unseren“ Reihen ernsthaft unwohl und machen uns Sorgen um den Verlauf des Tages.
Rechte Promis am laufenden Meter
Gleichzeitig flaniert die rechte Youtube-Bubble an uns vorbei. Wir sehen life und in Farbe diverse Promis:
– Billy Six,
– Matthäus Westfal („ Aktivist Mann“)
– der selbsternannte Volkslehrer Nikolai Nerling
– Martin Lejeune
– Steve Schram (Freedom Parade)
Auch Nachtwölfe sehen wir:
(Das Bild ist nicht von uns, sondern vom Bildwerk Rostock. Wir haben die gesehen, aber uns nach den schon stattgefundenen vier Schlägereien nicht getraut, die zu fotografieren).
„Amis raus!“ mit den Compact-Nazis
Eine Gruppe Compact-Nazis läuft am Panzer vorbei zur Demo. Als sie am Panzer vorbei laufen, rufen sie „Schande! Eine Schande für Deutschland“ und „Amis raus, Amis raus!“. In den zweiten Ruf fallen gefühlt etwa 200 freundliche Friedensschwurbel ein und rufen ihren Lieblingsslogan aus ganzem Herzen zusammen mit den Nazis.
Antiamerikanismus ist ohnehin sehr beliebt:
Und worüber regt man sich der Friedensschwurbel am Tag des russischen Kriegsbeginns auf?
Und das ganze mit antisemitischer Note:
Die Echsen-Blockade
Langsam wirds uns am Panzer langweilig und wir wollen ja noch was von der Demo sehen. Also weiter. Netter Gag: Schnappi und seine Antifa-Echsen-Kumpel*z haben am Pariser Platz eine Kundgebung angemeldet. Deswegen blockiert die Polizei den Durchgang. Eine maximal effektive Blockade. Allgemeines Geschimpfe beim Friedensschwurbel.
Die Polizei leitet die Friedensschwurbel auf dem Weg von Schnappis Blockade zur Kundgebung am Shoa-Mahnmal vorbei.
Der Einsatzleiter hat Humor.
Eindrücke von der Demo
Wir gehen durch die Kundgebung. Einmal nach von vorne nach hinten und wieder zurück. Häufigste Forderung auf Bannern und Schildern:
„Frieden schaffen ohne Waffen“ und irgendwas mit „Verhandeln“. Und dazu im Kern inhaltlich beliebige Friedensfahnen.
Klingt gut, aber ist ja in der Praxis etwas problematisch, wenn der Herr im Kreml gar nicht verhandeln will und es außerdem sonderbar ist, wenn wir den Ukrainer*innen sagen, dass sie mal bitte Frieden ohne Waffen schaffen mögen, weil wir gern wieder billiges Gas hätten und weite Teile der Friedensbewegung ausgerechnet den zunächst gewaltfreien Aufstand 2014 in der Ukraine als „Putsch“ verunglimpfen statt ihn als Vorbild zu nehmen für praktizierte soziale Verteidigung… aber naja, das hier ist kein Debatte-Text sondern ein Demo-Bericht.
Was die doitsche Aufforderung an die Ukrainer*innen, doch mal bitte zu „verhandeln“, praktisch bedeutet, zeigen diese beiden völlig unverblümt.
Die Nazis
Wir treffen auch unsere Compact-Gang wieder (zeigt ja, wie klein die Demo ist). Schlimm, dass man auf einer Friedensdemo antifaschistischen Selbstschutz braucht. Wir finden auch andere Nazis:
Wie gesagt, Elsässers D-Land-Fahnen gibts vereinzelt:
Reichsbürger gibts auch:
Sarah und Reiner reden ja regelmäßig von Volk. Kein Wunder, dass das sich auch auf der Demo spiegelt:
Und von hinten:
Deutschland ist derweil auch bei den Bürgerlichen ein wichtiges Thema:
Und hier die Schwurbel-Parade:
Hier eine Einladung an die AfD:
Auf dem Banner stand „Waffen für US-Kriege ist wie Impfen gegen Corona“
Der Link oben führt zu ner Petition auf der Webseite des Verschwörungsschwurbels und Putin-Fans Christoph Hörstel… Dort steht: „Bereits zwei Mal wurde Deutschland in den letzten 110 Jahren in Krieg gegen Russland irregeführt. Am jetzigen dritten Krieg gegen Russland wird sich Deutschland nicht länger beteiligen.“ Als ob die USA das unschuldige Deutschland manipuliert hätten, zwei Weltkriege zu starten, und als ob Russland nicht die Ukraine angegriffen hätte sondern anders herum… Und man wartet da schon sehnsüchtig auf den Einmarsch russischer Truppen in Deutschland: „Sollte die russische Regierung es in glaubwürdigem Dienst der Selbstverteidigung ihrer Heimat für unumgänglich erachten, vorübergehend Truppen nach Deutschland zu entsenden, werden wir unsere russischen Nachbarn als Gäste bei uns willkommen heißen“
Und dieses Banner bringt die Welt der Friedensschwurbel wunderbar auf den Punkt:
Und wo Schwurbels sind, kann „Stop Ramstein“ nicht weit weg sein:
Am Ende
Wir sind am Ende angekommen. Die Beweisfotos:
Fahnenfragen
Hier ganz am Ende treffen wir auch die einzigen Leuten mit Ukraine-Fahnen:
Die Ordner*innen stehen dort nicht zufällig. Sie haben die beiden wegen der Fahne aus der Demo ausgeschlossen.
Russland-Fahnen sind dagegen kein Problem:
Bei dem Ding hier drüber fragten wir uns, ob wir nicht grad auf Böhnermann oder die Titanic reinfallen…
Antifeminismus als Kit
Mit einem Trick mogeln wir uns durch ein Restaurant und sind auf dem Pariser Platz. Schnappi und seinen Echsen-Kumpel*z guten Tag sagen und einmal in den Keller der Akademie der Künste auf Klo. Alles voll mit biodeutschen Kartoffeln ab 55. In der Schlange am Klo akribisches Sortieren und Ordnung schaffen nach dem Schema Frau-Frau/Mann-Mann. Ein dummer Witz übers Gendern jagt den nächsten, denn einige Frauen haben die Kackkabinen im Herrenklo entdeckt. Es zeigt sich: Antifeminismus ist eine Leitkultur und sozialer Kit im Bürgertum. Was alles so kommt, wenn die Feminist*in Alice zur Demo ruft…
Nur eine DFG-VK-Fahne
Zum Schluss noch etwas erfreuliches: Auf der ganzen Demo haben wir lediglich eine DFG-VK-Fahne gesehen. Und die Leute kannten wir nicht. Weite Teile unserer Mitgliedschaft scheinen also sehr wohl einzusehen, das man nicht mit Nazis demonstriert und dass man Wahnwichteln nicht hinter her läuft. Hier zeigen sich die Erfolge der Auseinandersetzungen seit 2014, als Ken Jebsen unseren damaligen politischen Geschäftsführer Monty Schädel anpöbelte und dass es Sinn macht, Veranstaltungen zu „Rechter Friedensbewegung“ oder „Antiamerikanismus und Antisemitismus in der Friedensbewegung“ durchzuführen.
Fazit
Der Nachmittag zeigt uns: Friedensschwurbeln lohnt sich nicht. Jedenfalls nicht für die Friedensbewegung. Von der von Reiner Braun und Co. angepeilten „ich sag jetzt mal Volksbewegung“ ist trotz des Versuches „mögliche neue Partner […] auch in der corona-kritischen Grundrechtebewegung zu finden“ nicht viel zu sehen. Trotz fetter Einladungen kommen die Nazis nicht und von den über 400.000 Unterzeichnenden wurden letztlich ca. 10.000 Menschen mobilisiert. Die allermeisten von den von Reiner und Co. als „Volk“ verklärten Menschen scheinen richtigerweise völlig klar zu haben, dass man nicht mit Nazis auf die Straße geht.
Auch für die Compact-Nazis und Tino Chru-Balabala von der AfD war der Tag eher ein Reinfall. Trotz des von Sarah, Alice, Oskar, Reiner und anderen ausgerollten roten Teppichs scheint der Großteil der AfD-Basis wenig Lust zu haben, zusammen mit den Friedenshippies abzuhängen. Die Nazis können offensichtlich ganz gut zwischen rassistischem Original und verzweifelten Trittbrettfahrer*innen unterscheiden.
Die einzige, für die sich der ganze Schlamassel wirklich lohnt, ist Sarah. Wie die taz feststellte, hat sie es leider geschafft, „zwischen sich und die“ Friedenserstarrung „ein Gleichzeichen zu setzen.“ Das wird es uns in Zukunft noch mehr erschweren, Menschen, bei denen der politische Kompass nicht völlig frei dreht, für ein Engagement in der Friedensbewegung zu begeistern.
Und das war unser anschließender Snack im Cafe der Nationalbibliothek: