Wir sind in London! Auf dem Antimilitarist Roots Kongress!

Freitag, 16. Juni 2023. Wir haben es geschafft! Nach der langen Zugreise müssen wir erstmal den Weg zum Kongressort finden. An den Linksverkehr müssen wir uns auch noch gewöhnen. Außerdem haben wir einen Tag mit vollem Programm vor uns.

Hallo liebes Reise-Tagebuch,

heute war ein schöner Tag. Die Antimilitaristische Aktion Berlin ist beim Antimilitarist Roots Kongress der War Resisters International in London. Doch von vorne: Gestern kamen einige von uns mit dem Eurostar durch den Ärmelkanal auf die Insel. Abends gab es Bier und Pommes in einem Pub. Heute, am Samstag, als wir etwas übermüdet aus den Betten kamen, stellten wir fest, dass es nur ein Klo für 12 Leute in unserer Unterkunft gibt. Nächstes Mal besser Bewertungen lesen…

Um kurz vor 9 machen wir uns auf zu einem halbstündigen Spaziergang zum Konferenzort. Spannend durch eine Stadt zu laufen, die nicht völlig zerbombt wurde. Als aller erstes fällt uns jedoch eine riesige Gurke am Horizont auf.

Wir kommen auf unserem Weg durch ein mega cooles Hipsterviertel mit mega teuren Vintage-Boutiquen und mega cooler Streetart, also Werbung von Sky und für Urlaub in Dubai.

Am Konferenzort angekommen werden uns offizielle Umhängekärtchen mit Namen und QR-Code in die Hand gedrückt. Den QR-Code müssen wir beim rein und raus gehen scannen, damit wir wissen, wenn wer im Haus verloren gegangen ist. Außerdem gibt es das ausgedruckte Programm für alle die sich das nicht im Internet anschauen konnten.

Kennen lernen mit Papierschnipseln

Der Kongress ging los mit einer Smalltalk-Kennenlernrunde. Dafür standen alle um Papierschnipsel auf dem Boden rum und rätselten, was das wohl sein mag. Zum Glück gab es ein paar schlaue Leute, die die Umrisse der verschiedenen Kontinente in einer ungewöhnlichen Projektion erkannten und die anderen aufklären konnten. Unsere Aufgabe war, Punkte auf die Orte zu kleben, an denen wir aktiv sind. Außerdem tauschten wir uns in Murmelrunden darüber aus, wie wir heißen, was wir so machen…

Wenig Zeit und Rededominanz

Einer der Workshops in der ersten Workshoprunde, den eine Person von uns besuchte, hieß ‚Return of conscription‘. Es ging also um Informationen und Austausch über Länder, in denen die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde. Ob „uns“ das wohl auch droht?  Auch die anderen Workshops hatten vielversprechende Titel. Leider war jedoch zu wenig Zeit und die Möglichkeit, in eine wirklich spannenden Diskussion zu kommen war begrenzt. Schade war auch, dass manche Menschen es leider nicht draufhaben, auf ihre Rededominanz zu achten und somit sehr viel Raum einnahmen. 

Soziale Verteidigung auf Englisch

Zwei Personen unserer Gang waren auch im Workshop „What do you wanna defend? And (how) can you do this nonviolently?“ Man ahnt es schon: Es geht um Soziale Verteidigung. Die Referenti-Person stellte im Workshop einen Workshop vor, den der Bund für Soziale Verteidigung im Rahmen der Kampagne „Wehrhaft ohne Waffen“ als Einstiegs-Workshop entwickelt hat. Im Workshop lässt man Leute in Kleingruppen oder Tuschelrunden diskutieren, was sie gerne verteidigen würden. Dann visualisiert man das. Und dann diskutiert man, was davon mit Militär geschützt werden könnte (-> fast nix) und was man anders schützen muss. Und dann zeigt man noch kurz Alternativen. Uns gefiel die Idee gut. Denn wir glauben, dass man das innerhalb von 45 Minuten mit ner Schulklasse machen könnte und dass die Workshopidee auch für Menschen, die sich noch nie mit irgendwas auseinandergesetzt haben, recht eingängig ist. 

Mittagessen und Gruppenarbeit

Das Mittagessen bestand aus Reis, Samosas, Tofu-Curry und Linsensalat und war sehr lecker. Die erste vollwertige Mahlzeit seit Tagen! Danach sollten  wir uns in  Themengruppen aufteilen. Wir waren alle in unterschiedlichen Gruppen. 

Sind Klima-Kleber*innen gewaltfrei?

In der Arbeitsgruppe „Nonviolent Campaigns: What else can we do?“ stritten sich 3 Leute aus Deutschland darüber, wie gewaltfrei und wenig revolutionär die letzte Generation ist. Also ist sich Kleber an die Hand schmieren gewaltfrei? Und wenn da so viel Hass auf der anderen Seite produziert wird, ist das ein sinnvolles Mittel? Die Reaktionen auf die Aktionen sind es nicht, immerhin da waren sich alle einig. Und wie soll diese Tempolimit-Forderung bei der Revolution helfen? Alles interessante Fragen, allerdings waren wir ja in einem internationalen Workshop und die Dynamik, dass auf einmal nur die deutschen untereinander Diskutieren und damit so viel Raum einnehmen war ab einem bestimmten Punkt ein bisschen weird. Die Workshopleiterinnen haben dem zum Glück irgendwann ein Ende gesetzt… Und dann liefs auch und in den zwei weiteren Sessions haben wir viel gelernt, wie man Kampagnen plant und auswertet.

„Militarization of Borders“ und „Queer Perspectives“

Die Gruppen Militarization of Borders und Queer Perspectives waren sehr klein, was viele Möglichkeiten zur Beteiligung und zu spannenden Diskussionen bat. Es ist sehr interessant, über andere Kämpfe zu hören, wie zum Beispiel den Protest gegen die tödlichen Praxen von Frontex auf der gefährlichsten Fluchtroute weltweit auf den Kanaren. Die Themengruppen treffen sich auch die nächsten zwei Tage und bieten neben den vielen beiläufigen Gesprächen einen Ort, um Politik auch in der Tiefe zu diskutieren.

Arbeitsgruppe „Everyday Militarism“

Wir waren auch in der Arbeitsgruppe zu alltäglichem Militarismus. Es war sehr interessant, zu hören, welche Strategien der Öffentlichkeitsarbeit die Militärs in den unterschiedlichen Ländern einsetzen und dass sich deren Auftreten und Narrative ähneln, aber auch unterscheiden.

kleiner Snack zwischendurch
Vorträge am Ende

Das in unseren Augen vorbildlich auf Partizipation der Teilnehmenden ausgelegte Kongressprogramm des ersten Tages endete dann doch mit klassischen Vorträgen. 

Es sprachen ein Mitglied des Mersavot political disobedience network, Israel, und Chief Namoks (John Ridsdale) von der Wet’suwet’en First Nation aus Kanada. Das Mitglied von Mersavot political disobedience network sprach über seine Erfahrungen mit der Kriegsdienstverweigerung in Israel und über die anschließende Haft. Chief Namoks sprach über seinen Protest gegen ein Pipeline-Projekt. 

Bittere Note

Die zwei Vorträge haben den Konferenztag mit einer bitteren Note abgeschlossen. Es ist verständlich, das Menschen, die von einem Staat ins Gefängnis gesteckt werden, weil sie den Kriegsdienst verweigert haben, wütend auf den Staat sind. Doch das Publikum hier ist (vermutlich) mehrheitlich aus Ländern, in denen Antisemitismus auch in den sozialen Bewegungen ein großes Problem ist. Da würden wir uns wünschen, dass Menschen vorsichtiger sind, was für Narrative sie in so eine Echokammer geben (. Dass das auch anders ginge, zeigt der Workshop zur Kampagne für eine Atomwaffenfreie Zone, dem wir im Frühjahr 2022 in Wien bei ICAN anlässlich der TPNW1MST beiwohnen durften: Wir sind bei ICAN in Wien

Tradition vs. Wahl?

Chief Namoks (John Ridsdale) der Teil des Tsayu (Beaver Clan) ist, die wiederum zur Wet’suwet’en Nation gehören, wurde von uns im Nachhinein recht kontrovers diskutiert. Chief Namoks startete seine Rede gleich erstmal mit einem Diss gegen gewählte Politier*innen und betonte, dass irgendwie per Erbschaft in Verantwortung gekommene Menschen deren Business viel besser könnten.  Ist die Tradition eines auf Lebenszeit ungewählten Chiefs, der die Community anführt Zeichen einer anti-westlichen und anti-staatlichen positiven alternativen politischen Praxis oder eine nichtdemokratisch legitimierte patriarchale Struktur? Dann hätten wir ja den Kaiser auch behalten können? Beim Googlen fanden wir dann raus, dass es bei den Tsayu auch gewählte Chefs gibt. Die meisten von denen finden die Pipelines gut, aber rechtfertigt dass so ein antidemokratisch lesbaren Diss?

Live-Coaches, die besoffen Hunde abknallen

Was wir außerdem in seiner Rede merkwürdig fanden, waren die ständigen Naturalisierungen von menschen Gesellschaften und die neoliberalen Live-Coach-Sprüche a la „Learn from the best- be the best“. Und Google verriet uns außerdem, dass der Chief in Kanada zu Anti-Gewalt-Trainings verknackt, wurde wegen problematischem Waffenbesitzes und weil er besoffen den Hund seiner Nachbarin abgeknallt hat. Warum prädestiniert so etwas, um auf einem Pazifist*innen-Kongress eine Leitrede halten zu können? Das ließ uns etwas ratlos zurück.

Quelle: Nationalpost

Lalaland

Trotz Müdigkeit war der Abend noch lange nicht vorbei. Zu zwanzigst suchten wir ein Restaurant und landeten in dem Gentrifizierungs-Biergarten Lalaland. Nach mehreren Stunden war der Stapel aus leeren Bierbechern auf einen halben Meter angewachsen. Und niemand wollte mehr mit uns trinken… 1:0 AMAB. Ein australisches Wegbier begleitete uns nach Hause, wo wir direkt ins Bett fielen. Ein Tag an dem wir viele neue Leute kennengelernt und ein paar bekannte Gesichter wieder entdeckt haben .

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