Internationale Solidarität für vom Berliner Geheimdienst beobachtete Putin-Gegner*innen

Der am 27. Juni veröffentlichte Jahresbericht des Berliner Geheimdienstes hat für weltweite Empörung gesorgt. Laut dem sogenannten „Verfassungsschutz-Bericht“ stört sich der Geheimdienst an zwei Protestaktionen gegen Gazprom und die russische Botschaft, die die Antimilitaristische Aktion Berlin (amab) im Jahr 2022 organisierte. Seitdem melden sich zahlreiche Kritiker*innen zu Wort. „Was an dieser Aktion verfassungsfeindlich sein soll, ist mir schleierhaft“, so Niklas Schrader (DIE LINKE). Thomas Wiegold, Journalist und Betreiber*in des Blogs „Augen geradeaus“, fragte auf Twitter: „Ist der Berliner Verfassungsschutz auf Putin-Kurs?“ Menschenrechtsaktivist*innen u.a. aus der Ukraine, Belarus, Finnland oder Belgien solidarisieren sich mit der Antimilitaristischen Aktion. Olga Karach, Direktorin der belarussischen Menschenrechtsorganisation Nash Dom sagte: „Wir sind dankbar für die sympolischen Cargo-200-Säcke an der russischen Botschaft.“

Wir stehen im Berliner Verfassungsschutzbericht!
„Vor zwei Wochen machte uns eine Freund*in auf den aktuellen Jahresbericht des euphemistisch als „Landesamt für Verfassungsschutz“ bezeichneten Berliner Inlandsgeheimdienst aufmerksam“ berichtet Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin. Zur großen Überraschung der Gruppe ärgerten die Geheimen sich dort ausgerechnet über zwei ihrer Aktionen. Ein symbolisches Pipeline-Sägen vor der GAZPROM-Zentrale und die Forderung, erneuerbare Energien auszubauen, statt weiter Diktator*innen-Gas zu kaufen und damit die Zerstörung in der Ukraine zu finanzieren, wertet man im Geheimdienst als ganz schlimm linksextrem. Auch eine symbolische Leichensack-Verteil-Aktion an der russischen Botschaft und am russischen Haus hält der Geheimdienst für eine berichtenswerte Bedrohung der Demokratie. „Unseren Egos schmeichelt das na klar schon etwas“ sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin. „Aber wir fragen uns schon, was für Gestalten da in den Geheimdienst-Büros sitzen, wenn die ausgerechnet Proteste gegen den Krieg eines Diktators für eine Bedrohung der Demokratie halten?“

Leichensack vor der russischen Botschaft in Berlin

Öffentlichkeitsarbeit gegen Überwachung
Die in der ganzen Friedensbewegung für ihre Streitlust berüchtigte Antimilitaristische Aktion Berlin wäre nicht die Antimilitaristische Aktion Berllin, wenn die dort Aktiven sich die Verunglimpfungen durch den Geheimdienst einfach so gefallen lassen würden. „Gegen Geheimdienste hilft Öffentlichkeit“ sagt Jan Hansen. Denn die Geheimen seien es gewohnt, dass sie einfach so vor sich hinwursteln könnten, ohne das wer nachschaut: „Bisschen Nazis bezahlen, bisschen Mord vertuschen, bisschen Putin-Kritiker*innen beobachten: Meistens bekommt es ja keiner mit“ so Hansen. Doch richte man das Schlaglicht der Öffentlichkeit auf das düstere Wirken der Geheimen, bekämen diese recht schnell kalte Füße. „Deswegen ist für uns klar, dass wir dazu Öffentlichkeitsarbeit machen und die GAZPROM-Versteher*innen aus dem Geheimdienst angemessen in die Pfanne hauen.“

Viele Reaktionen
Die Auflistung von demokratischem Protest gegen den russischen Angriffskrieg unter ‚linksextrem‘ im Berliner Verfassungsschutzbericht stieß auf viel Kritik:

Ronen Steinke, Süddeutsche
Der Geheimdienst-Experte und Journalist Ronen Steinke, der u.a. für die Süddeutsche schreibt, brachte die Story in die große weite Twitter-Welt. Er postete eine für Twitter recht lange Analyse: „Sind Leute, die Putins Krieg als ein Verbrechen bezeichnen und mit symbolischen Leichensäcken vor der russischen Botschaft demonstrieren, deshalb schlechte Demokraten? Ähm – I doubt it. [..] In seinem neuen Verfassungsschutzbericht stuft das Landesamt die Gruppe ‚Antimilitaristische Aktion‘ (Amab) als ‚Linksextremisten‘, sprich Antidemokraten ein, nachdem die Gruppe im Jahr 2022 Proteste vor der Botschaft und der Gazprom-Zentrale organisiert hat. [..] Das soll in der Demokratie eine problematische Position sein, die eine öffentliche Brandmarkung durch den Inlandsnachrichtendienst verdient? Remarkable.“
https://twitter.com/RonenSteinke/status/1675397579192803328

Thomas Wiegold, augengeradeaus!
Zu unser großen Überraschung hatte Thomas Wiegold, Journalist und Betreiber*in des über die Bundeswehr berichtenden Blogs „Augen geradeaus!“ ganz ähnliche Gedanken wir wir. Er antwortete mit der Frage: „Ist der Berliner Verfassungsschutz auf Putin-Kurs?“
https://twitter.com/thomas_wiegold/status/1675484427470741504

June Tomiak, Grüne Abgeordnete im AGH Berlin
Auch aus der Politik äußerten sich Stimmen gegen die Nennung der Aktionen der Antimilitaristischen Aktion Berlin im Verfassungsschutzbericht. June Tomiak, Sprecherin für Verfassungsschutz-Fragen in der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, erklärt gegenüber »nd«, dass sie sich dem Eintrag parlamentarisch widmen werde. »Kreativen Protest in einer losen Aufzählung mit Angriffen und Sachbeschädigungen an russischen Einrichtungen und Unternehmen zu nennen ist mehr als fragwürdig«, sagt Tomiak.

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174521.verfassungsschutzbericht-kriminalisierter-pazifismus-in-berlin.html

Niklas Schrader, die Linke, MdA Berlin
Niklas Schrader (MdA im Verfassungsschutzausschuss, DIE LINKE) gab den Medien ebenfalls ein Statement: „Was an dieser Aktion verfassungsfeindlich sein soll, ist mir schleierhaft. Offensichtlich wird das Feindbild Linksextremismus vom Verfassungsschutz weiter gepflegt. [..]“ . Schrader kündigte in den Medien an, die Sache in der nächsten Sitzung des Verfassungsschutz-Ausschusses anzusprechen.

Diese findet am 28. August von 9 bis 12 Uhr im Abgeordntenhaus statt. Die Sitzung ist öffentlich, Anmeldungen unter besucherdienst@parlament-berlin.de oder (030) 2325 1064. Die Sitzung wird auch im Live-Stream übertragen: https://www.parlament-berlin.de/mediathek/parlament-live/livestream-ausschuss

Olga Karach, Nash Dom, Belarus
International bekam die Antimilitaristische Aktion sogar die Unterstützung von einer echten Vollzeit-Putin-Gegnerin. Olga Karach, Sprecherin der Menschenrechtsorganisation „Nash Dom“ aus Belarus danke uns auf twitter: „Antimilitarism is not an extremism. Our House supports the Antimilitarist Action Berlin: we are grateful for the symbolic bag with ‚cargo 200‘ near the Russian embassy, and for the ‚Broken Rifle‘ near the office of the European Parliament.“

Yurii Sheliazhenko, Ukrainische Pazifistische Bewegung
Aus der Ukraine schrieb uns Yurii Sheliazhenko von der Ukrainische Pazifistischen Bewegung: „Antimilitarism is not an extremism. We wish the Berlin and Federal Office for the Protection of the Constitution of Germany will understand it, and incorrect statements about peaceful protests no longer raise eyebrows in their annual reports. Peaceful protests against the war and arms race, against Russian aggression and NATO expansion, against the violation of the right to conscientious objection to military service in Russia, Belarus and Ukraine are the defense of constitutional values by civil society. Ukrainian Pacifist Movement supports the Antimilitarist Action Berlin [..].“

https://www.facebook.com/peaceukraine/posts/pfbid0mB2ePXYbANsRPK1gibAdtSSL2rLUGjVocVsSd11x4eXFdg7eGjukgzoBnkDazkvtl

Jyry Virtanen, AKl, Finnland
Jyry Virtanen, Vizepräsident von Aseistakieltäytyjäliitto (Abrüstungsliga) aus Finnland: „It has been a week of decline for politics. Should we be concerned when Nazis are elected as ministers in Finland and the secret service starts viewing peace protestors as potential terrorists?“

Vredesactie, Belgien
Sehr schön auf den Punkt brachte es auch die Organisation Vredesactie aus Belgien: „German peace activists who did actions against Putin’s war, and the involvement of Gazprom, are being watched by German state security service. Promoting peace is a danger for the state, apparently.“
https://twitter.com/Vredesactie/status/1674686025132658690?s=20

Vicdani Ret İzleme, Türkei
Aus der Türkei zeigte sich die Gruppe „Vicdani Ret İzleme“ ( Kriegsdienstverweigerungs-Monitoring) solidarisch. Die Aktiven übersetzen unser Statement auf türkisch und verbreiteten es auf ihren Kanälen:
https://twitter.com/vrizleme/status/1675828418133229569

Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner*innen
Solidarität gab es auch aus der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner*innen. Auf dem Bundesausschuss am 8. Juli 2023 beschloss die Organisation folgende Erklärung: „Der Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Die Antimilitaristische Aktion Berlin arbeitet mit ihren Aktionen entschlossen an der Beseitigung von Kriegsursachen. Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen kritisiert aufs Schärfste, dass Aktivistinnen aus der Friedensbewegung wieder einmal für ihren friedlichen Einsatz gegen den Krieg vom Geheimdienst beobachtet werden.“

Und der Landesverband Berlin schrieb: „Zu unser großen Überraschung listet der Berliner Verfassungsschutz in seinem aktuellen „Verfassungsschutzbericht“ für das Jahr 2022 zwei Aktionen der „Antimilitaristischen Aktion Berlin“ auf. Das Beispiel zeigt: Geheimdienste sind zum Schützen der Verfassung bestenfalls überflüssig und sollten wegrationalisiert und eingespart werden. (…)“

Antiverschwurbelte Aktion
Schnappi von den Antifa-Echsen der Antiverschwurbelten Aktion nimmt die Entgleisung des Geheimdienstes mit Humor: „wow! was für 1 auszeichnung! statt putinfans und all ihre netzwerke werden die im vs-bericht die erwähnt, die sich am stärksten gegen die rechte „neue friedensbewegung“ engagieren! soli-rt für die „antimilitaristische aktion berlin“ bitte “ https://twitter.com/reclaimrosalux1/status/1675849327351136261

Right to Resist – Linke Ukraine-Solidarität Berlin
Sehr gefreut haben wir uns über das Statement von Right to Resist – Linke Ukraine-Solidarität Berlin. Zu unser Einschätzung, dass die Erwähnung unserer beiden Aktionen im Geheimdienstbericht ein Skandal sei, schreibt die Gruppe: „Wir teilen sicher nicht alle Positionen mit @amab, aber dem stimmen wir zu!“
https://twitter.com/righttoresistua/status/1677277310674780163

Aus Hamburg solidarisierte sich Marta Zamira Ahmedov.
„Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet diese internationalistische Jugendgruppe, weil sie eine russlandkritische Aktion gegen den russischen Angriffskrieg vor dem Ölkonzern Gazprom gemacht haben! Welche Interessen will der VS damit schützen?!“
https://twitter.com/martazamiraa/status/1675859869570592768

Bernd Drücke, Graswurzelrevolution
„Das ist eine Verharmlosung von faschistischen Organisationen“, kommentierte der Graswurzel-Redakteur Bernd Drücke bei telepolis.
https://www.telepolis.de/features/Berliner-Verfassungsschutz-im-Kampfmodus-Extrem-ist-gegen-Krieg-zu-sein-9209299.html

Julius Nebel (Grüne Hamburg):
„Der Berliner VS beobachtet eine Gruppe, die friedlich gegen den brutalen russischen Angriffskrieg und die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas protestiert! Solidarität mit den Menschen in der Ukraine als „antidemokratisch“ zu markieren, ist brandgefährlich!“
https://twitter.com/JuliusNebel/status/1675866088247009280

Die Feministische Partei:
„Die „Antimilitaristische Aktion“ (Amab) hat 2022 Proteste vor der #Gazprom-Zentrale organisiert. Jetzt stuft der Berliner Verfassungsschutz die Gruppe als „Linksextremisten“ ein. Das bestätigt die zunehmende Tendenz, PazifistInnen und KlimaschützerInnen zu kriminalisieren.“
https://twitter.com/FeministischeP/status/1675451935221075969

Gregor Kreuzer (Grüne Göttingen):
„Absolut unhaltbare Einordnung durch den Verfassungsschutz.“
https://twitter.com/kreuzer_gregor/status/1675399843869597696

Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts:
„Bemerkenswert: Der Verfassungsschutz beobachtet jetzt ausgerechnet jene Friedensaktivisten, die GEGEN den russischen Angriffskrieg demonstrieren“ https://twitter.com/mathieuvonrohr/status/1675421624122720256

Das Peng! Kollektiv

WTF

Ist der Berliner Verfassungsschutz von Russland unterwandert? Laut jüngstem Verfassungsschutzbericht wird in eine Anti-Schwurbler-Gruppe beobachtet, die Aktionen gegen den russischen Angriffskriegs machte. https://twitter.com/Peng/status/1675183472321744898

Danke!
Wir möchten uns ganz herzlich für die kritischen Worte gegen den Geheimdienst, die Unterstützung und die Solidarität bedanken!“ sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin. „Wir freuen uns schon sehr auf die Sitzung des Geheimdienst-Ausschusses des Abgeordnetenhauses am 28.8.“

Erinnerung:
Die Sitzung des Geheimdienstausschusses im Abgeordnetenhaus findet am 28. August von 14 bis 17 Uhr im Abgeordntenhaus statt. Die Sitzung ist öffentlich. Anmeldungen unter besucherdienst@parlament-berlin.de oder (030) 2325 1064. Die Sitzung wird auch im Live-Stream übertragen:
https://www.parlament-berlin.de/mediathek/parlament-live/livestream-ausschuss

Bisherige Veröffentlichungen:

5.7.2023, nd: Kriminalisierter Pazifismus in Berlin
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174521.verfassungsschutzbericht-kriminalisierter-pazifismus-in-berlin.html

5.7.2023, taz: Ohne polizeiliche Auflagen
https://taz.de/!5941845/

6.7.2023 telepolis: Berliner Verfassungsschutz im Kampfmodus: Extrem ist, gegen Krieg zu sein
https://www.telepolis.de/features/Berliner-Verfassungsschutz-im-Kampfmodus-Extrem-ist-gegen-Krieg-zu-sein-9209299.html

PM 29.07.2023 Verfassungsschutz beobachtet Putingegner*innen:
https://amab.blackblogs.org/2023/06/29/berliner-verfassungsschutz-beobachtet-putin-gegnerinnen/

PM 01.10.2022 Leichensäcke vor russischer Botschaft:
https://amab.blackblogs.org/2022/10/01/protest-in-berlin-leichensaecke-vor-der-russischen-botschaft/

PM 03.03.2022 Kundgebung vor GAZPROM Klimaschutz statt Krieg!
https://amab.blackblogs.org/2022/03/03/kundgebung-vor-gazprom-klimaschutz-statt-krieg

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