Spektakulärer Showdown im Geheimdienst-Ausschuss des Abgeordnetenhauses: Geheimdienst-Boss Michael Fischer gab zu, dass die Antimilitaristische Aktion Berlin vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Angesichts einer Kundgebung der Antimilitaristischen Aktion Berlin vor dem Abgeordnetenhaus und kritischer Fragen des Abgeordneten Niklas Schrader (Linke) legte Fischer noch einen drauf: Auch seiner persönlichen Auffassung nach seien die im Verfassungsschutz-Bericht aufgeführten Aktionen gegen den russischen Angriffskrieg nicht verfassungsfeindlich. Den eigentlichen Grund für die Beobachtung könne er jedoch nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit im „Geheimraum“ nennen. „Der Geheimdienst-Boss windet sich geradezu peinlich aus der politischen Verantwortung“, sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin, dazu. Was die Gruppe mache, könne man öffentlich auf einem Blog mit fast 200 Beiträgen nachlesen. „Nichts davon begründet eine Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst. Statt das offen zuzugeben, versteckt sich Herr Fischer vor der öffentlichen Kritik lieber im Geheimhaltungsraum.“
Das bestimmende Thema in der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz im Berliner Abgeordnetenhaus am 28. August war der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Landes Berlins. Mit einer Kundgebung vor der Tür fragte die Antimilitaristische Aktion Berlin „Warum beobachtet der Geheimdienst Putin-Gegner*innen?“ und protestierte gegen die Nennung zweier ihrer Aktionen im Bericht. Ein Banner mit ihrem Logo ergänzte die Gruppe mit: „Vom Verfassungsschutz empfohlen“.
Doch nicht verfassungsfeindlich?
Der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke) unterstützte das Anliegen der Antimilitaristischen Aktion und fragte im Ausschuss, was an symbolischen Leichensäcken an der russischen Botschaft und dem symbolischen Zersägen einer Papp-Pipeline vor der Gazprom-Zentrale verfassungsfeindlich sei. Deshalb musste der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, Senatsdirigent Michael Fischer, öffentlich antworten. In seiner Antwort musste der Geheimdienst-Boss eingestehen, dass die im Bericht genannten Aktionen nicht verfassungsfeindlich sind: „Es ist uns glaube ich allen klar, dass sich auch Verfassungsfeinde mehrheitsfähige und per se nicht verfassungsfeindliche Positionen zu eigen machen können, um die dann eben in der Folge für sich zu nutzen.“ Schließlich gibt Michael Fischer zu, dass die Antimilitaristische Aktion Berlin vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Gründe dafür möchte er aber nicht nennen: „Diese Gruppierung wird auch nicht wegen der im Bericht genannten Protestaktionen beobachtet. Das hat andere Gründe, zu denen ich gerne in nichtöffentlicher, vertraulicher Sitzung noch mehr sagen kann.“
„Geheim! Geheim!“
Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin, dazu: „Statt zu sagen, was Sache ist, windet sich Herr Fischer mit seinem ‚Geheim! Geheim!‘ geradezu peinlich banal aus der politischen Verantwortung“. Was die Gruppe mache, könne man öffentlich auf einem Blog mit fast 200 Beiträgen nachlesen. „Nichts davon begründet eine Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst. Statt das offen zuzugeben, versteckt sich Herr Fischer vor der öffentlichen Kritik lieber feige im Geheimhaltungsraum.“ Wie stark Michael Fischer wegen der öffentlichen Kritik unter Druck steht, konnte man sehr einfach erkennen: „Seine Antwort zur Frage, warum unsere Aktionen im Verfassungsbericht stehen, ist die einzige, die er fertig vorbereitet abliest. Vor keiner anderen den gesammten Jahresbericht betreffenden Frage hatte Herr Fischer so viel Schiss“, lacht Jan Hansen.
Mit Putin-Kritik in den Verfassungsschutzbericht?
Der sogenannte Verfassungsschutzbericht für das Berichtsjahr 2022 erschien vor wenigen Wochen und ist gerade wieder aus dem Netz verschwunden. Im Kapitel zu Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg führt der Geheimdienst zwei Aktionen der Antimilitaristischen Aktion Berlin auf, die sich gegen den verbrecherischen Angriffskrieg stellten. Eine der erwähnten Aktionen war eine angemeldete Kundgebung vor der Gazprom-Zentrale in Berlin, wo die Gruppe eine Papp-Pipeline zersägte und die Schließung von Nord Stream 1 forderte. Bei der anderen im Verfassungsschutzbericht genannten Aktion legte die Gruppe schwarze Plastiktüten mit der Aufschrift Z-200, die Leichensäcke nachahmten, vor der russischen Botschaft ab. Dazu forderte die Antimilitaristische Aktion Berlin Russland zum sofortigen Stopp der Kriegshandlungen und zum Abzug aus der Ukraine auf.
Internationale Kritik
Dass der Berliner Inlandsgeheimdienst Putin-Gegner*innen beobachtet, sorgte international für Kritik und Solidarität mit der Antimilitaristischen Aktion Berlin. Auch Niklas Schrader, Mitglied des Verfassungsschutzausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus für Die Linke, hatte dafür kein Verständnis: „Was an dieser Aktion verfassungsfeindlich sein soll, ist mir schleierhaft. Offensichtlich wird das Feindbild Linksextremismus vom Verfassungsschutz weiter gepflegt.“
Nichts in der Hand
Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin, findet den Grund eindeutig: „Die beobachten uns, weil wir was gegen das Militär haben. Nur ist das eine in einer Demokratie zulässige Meinung. Dass Herr Fischer so also nicht argumentieren kann, dürfte ihm als Jurist klar sein. Also weicht er der Frage lieber aus und versteckt sich hinter einem vermeintlichen Geheimhaltungsinteresse.“
Unterhaltsames
Doch die Mitglieder der Antimilitaristischen Aktion hatten auch viel Spass mit der Ausschusssitzung: „Der Geheimdienst-Boss bestand mehrmals in der Ausschuss-Sitzung darauf, dass seine Spitzel-Klitsche voller Russland-freundlicher AfD-Tollfinder kein Geheimdienst, sondern ein Nachrichten-Dienst sei“, erklärt Jan Hansen. „Wenn er dann statt Informationen zu liefern, ‚Geheim! Geheim!‘ ruft und sich in seinem ganz geheimen Geheimraum versteckt, ist das urkomisch.“
Mehr Infos:
Die Antimilitaristische Aktion Berlin im VS-Bericht:
https://amab.blackblogs.org/2023/06/29/berliner-verfassungsschutz-beobachtet-putin-gegnerinnen/
Bisherige Medienberichte:
https://amab.blackblogs.org/2023/07/17/medienartikel-zur-antimilitaristischen-aktion-berlin-im-jaehrlichen-geheimdienstbericht/
Reaktionen und Soli-Statements:
https://amab.blackblogs.org/2023/07/17/internationale-solidaritaet-fuer-vom-berliner-geheimdienst-beobachtete-putin-gegnerinnen/
Michael Fischers ungekürztes Statement zur Antimilitaristischen Aktion Berlin (ab 1:14):
„Ziel unseres Sonderkapitels war es, eine überblicksartige Darstellung darüber zu schaffen, wie die unterschiedlichen Verfassungsfeindlichen Phänomene auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert haben. Und in dem Zusammenhang haben wir auch dargestellt, mit welchen Aktionen verfassungsfeindliche Bestrebungen ihre Positionen untermauert haben. Dabei handelt es sich im wesentlichen nicht um eine bewertende, sondern um eine beschreibende Zusammenstellung. Denn es ist uns glaube ich allen klar, dass sich auch Verfassungsfeinde mehrheitsfähige und per se nicht verfassungsfeindliche Positionen zu eigen machen können, um die dann eben in der Folge für sich zu nutzen.
Die hier in Rede stehende Aktion ist im Bereich Linksextremismus aufgeführt und betrifft Proteste gegen einen Energiekonzern und die russische Botschaft. Und sie steht beispielhaft dafür, dass sich auch Teile der linksextremistischen Szene gegen die russische Aggression positionierten und dies auch mit entsprechenden Aktionen öffentlich gemacht haben. Der Name der hinter diesen Aktionen stehenden Gruppierung wird durch uns explizit nicht benannt und auch im weiteren im Bericht nicht aufgeführt. Ich kann auch dazu sagen: Diese Gruppierung wird auch nicht wegen der im Bericht genannten Protestaktionen beobachtet. Das hat andere Gründe, zu denen ich gerne in nichtöffentlicher, vertraulicher Sitzung noch mehr sagen kann.
Wichtig ist mir aber noch, zu betonen, dass es uns bei der Darstellung der Aktionen ausdrücklich nicht darum ging, Proteste gegen den russischen Angriffskrieg zu stigmatisieren oder gar zu kriminalisieren. Ich glaube, das kann man bei verständiger Lektüre des Berichts, wenn man ihn vollständig liest, auch gar nicht ernsthaft behaupten. Unser Ziel war und ist es vielmehr, zu zeigen, dass solche Proteste auch durch von uns beobachten Bestrebungen iniziiert und durchgeführt werden können. Darüber aufzuklären ist der gesetzliche Auftrag des Verfassungsschutzes und dem sind wir, meinen wir jedenfalls, auch mit der Beschreibung dieser Aktivitäten nachgekommen. In nichtöffentlicher Sitzung kann ich auch die Fragen von Herrn Lenz noch beantworten, warum die Gruppierung nicht weiter benannt wird im Bericht.“