Die Antimilitaristische Aktion Berlin hat anlässlich des NATO-Gipfels 2023 in Vilnius demonstriert. In der litauischen Hauptstadt zeigten wir am zentralen Kathedralenplatz ein Banner. Eingeladen zu dieser Anti-Nato-Aktion haben wir auch António Guterres, Uno-Generalsekretär, Papst Franziskus und Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich, a. D. Auf unserem Banner stand neben unserem Wappen: „Nato-Gipfel? Menschenrechte? Glaubwürdigkeit?“
Nato gegen Menschenrechte
Denn auch wenn die Nato sich Menschenrechte regelmäßig auf die Fahnen schreibt: Das westliche Militärbündnis hat in der Praxis nichts mit ihnen zu tun. Zu gut wissen wir, wie die Nato-Staaten 1999 auf Völkerrecht schissen und beim Bombardement Jugoslawiens z.B. durch einen Luftangriff auf die Brücke von Varvarin zahlreiche Zivilist:innen töteten oder verletzten. Anstatt den Fehler wenigstens ehrlich zuzugeben, log die Nato (und auch die Bundesregierung) das Ganze lieber zurecht.
Völker-und Menschenrecht spielen keine Rolle
Auch die Invasion in Afghanistan und Irak haben wir noch gut in Erinnerung. Völkerrecht spielte damals keine Rolle. Wie das Schützen von Menschenrechten aussah, kann man sich in Wikileaks „Collateral Murder“-Video oder auf den Bildern von Abu Ghuraib anschauen. Die Nato-Kriege für Menschenrechte mögen gut gemeint sein, die Praxis geht jedoch regelmäßig nach hinten los.
Einzige Aktion zum Nato-Gipfel
Unsere Aktion dürfte so ungefähr die einzige Protestaktion der weltweiten Friedensbewegung in Vilnius zum Nato-Gipfel gewesen sein. Gingen letztes Jahr in Madrid leider auch von antiamerikanischen Mobilisierungen getragen noch Tausende auf die Straße, fand sich hier in Vilnius zum Nato-Gipfel niemand, um sich für etwas Publicity als Projektionsfläche für die westliche Friedensbewegung anzubieten (also außer uns…).
Wenig Unterstützung
Als wir unser Banner fotografierten, drückte eine Person Unterstützung aus. Es handelte sich um ein Missverständnis. Die Stimmung, die wir in der Stadt in Gesprächen und auf der Straße erlebten, fürchtet sich vor Russland und hofft, dass die Nato Völker- und Menschenrechte schützt. Als Präsident Selensky in Vilnius auf einer Kundgebung parallel zum Nato-Gipfel sprach und einen Beitritt seines Landes forderte, jubelten ihm tausende Menschen zu.
Nato-Fahnen im Supermarkt
Die passenden blau-weißen Winkelemente mit der Nato-Kompassrose kann man zusammen mit der blau-gelben Fahne in Vilnius bequem im Supermarkt erwerben um seine Unterstützung für das Militärbündnis auszudrücken. Auch die Nato-Werbung in Werbevitrinen und am Präsidentenpalast erfreut sich allgemeiner Unterstützung.
Glaubwürdigkeitsproblem der Friedensbewegung
Das zeigt, dass auch die Friedensbewegung ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Das Glaubwürdigkeitsproblem ist so groß, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur in Mittel-und Osteuropa der Nato in Sachen Menschenrechte mehr zutraut als uns.
Osterweiterung kein Kriegsgrund
Zu unserem Glaubwürdigkeitsproblem trägt es enorm bei, wenn wir angesichts des russischen Angriffskrieges aufgrund alter Feindbilder der Nato Verantwortung für die verbrecherischen Entscheidungen des Kremls zuschieben. Die Nato-Osterweiterungen mögen nicht besonders entspannend gewesen sein. Ein Grund, die Ukraine zu überfallen, ist das nicht: Seit wann bestimmt die Ukraine, wer der Nato beitreten darf? Auch die Waffenlieferungen machen aus den Nato-Staaten keine Kriegspartei: Anderen Waffen liefernden Ländern wie China, Iran oder Nordkorea werfen wir dies schließlich auch nicht vor und behaupten, deswegen seien diese Kriegsparteien…
Kriegstreiberei?
Man vergleiche die Reaktionen auf 9/11 mit denen nach dem Attentat auf die Nordstream-Pipelines: Damals war nach drei Minuten klar, dass Afghanistan und Irak angegriffen werden, heute wollen die Nato-Länder erstmal in Ruhe in alle Richtungen ermitteln. Auch muss die ukrainische Regierung auch nach über 1,5 Jahren Krieg immer noch um jede Patrone betteln und bekommt gerade so viel Unterstützung, dass sie gegen die russische Übermacht nicht verliert (was die Falken in den Nato-Ländern natürlich praktisch finden. Aber das hätte der Meister-Stratege im Kreml sich mal vorher überlegen sollen…). Im Vergleich zu 2001 können wir keinen Eskalationswillen auf Seite der Nato erkennen.
„Aber die Nato…!“?
Um es klar zu sagen: Die NATO ist in der Ukraine nicht Kriegspartei. Statt reflexartig „…aber die Nato!“ zu sagen, sollten wir Pazifistinnen akzeptieren, dass die Kriegsursache in Moskau wohnt. Wir müssen alle Kriege verurteilen, nicht nur die der Nato oder der USA. Aktuell ist es deshalb wichtig, die Kriegsursache (in diesem Fall Moskau) klar zu benennen und gewaltfrei Druck auf die Kriegstreiberinnen (aktuell im Kreml) aufbauen.
Gewaltfrei Druck aufbauen
Wir sollten uns überlegen, wie wir gewaltfrei Druck auf den Kreml ausüben können, damit dieser den Krieg beendet. Wir könnten z.B. Druck auf Kriegsprofiteure wie die deutsche Chip-Firma Infinion machen und endlich dafür sorgen, dass ihre Chips nicht mehr in russischen Raketen landen. Wir könnten Oligarchen-Villen besetzen und Welcome-Center draus machen. Wir könnten gegen russische Propaganda-Schleudern vorgehen statt zuzusehen, wie Teile der Friedensbewegung am laufenden Meter deren Fake News verbreiten.
Glaubwürdigkeitsproblemen begegnen
Wenn uns so etwas gelinge, würde das mit etwas Chance auch unser Glaubwürdigkeitsproblem verringern. Schaffen wir das nicht, wenden sich die Menschen völlig zu Recht von uns ab und wir stehen beim nächsten Angriffskrieg der Nato mit unsererer Kritik und unserem Protest im Abseits (das ist leider kein unrealistisches Szenario. Wer weiß, wer die nächste US-Wahl gewinnt und auf was für Ideen der dann kommt…).
8 Wochen Verspätung
Ok, auch wir waren mit unser Aktion etwa acht Wochen zu spät. Wenn wir uns anschauen, wie sehr die Friedensbewegung noch den Achtzigern hinterher schwärmt und wie lange es auch in unserer DFG-VK dauert, bis längst überfällige Theorie-Updates mal aufgespielt werden, finden wir, dass acht Wochen Verspätung absolut im Rahmen sind.
Einige aus der Antimilitaristische Aktion Berlin
PS: António Guterres, Uno-Generalsekretär, Papst Franziskus und Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich, a. D. sind natürlich nicht aufgetaucht. Die Masche, sich mit solchen Namen wichtig zu machen, haben wir vom International Peace Bureau geklaut und wir finden es sehr lustig, das zu parodieren: