Tag der Bundeswehr: Auf zum Gletscher! Erlebnisbericht 1.Tag

Kein Tag der Bundeswehr in Berlin! Deshalb gehts zusammen mit dem U35-Netzwerk der DFG-VK nach Bayern. In Mittenwald feiert die Bundeswehr sich selbst. Zusätzlich zum Tag der Bundeswehr (6.Juni) sollte dort eine Reservistenmeisterschaft stattfinden. Da wollen wir stören: Mit einer Aktion am Gletscher auf der Zugspitze. Dort wollen wir gegen Aufrüstung und für mehr Klimaschutz und Seenotrettung protestieren. Aber erst mal müssen wir dahin kommen…

Der erste Bericht handelt von Polizisten, die ganz vorurteilsfrei Menschen mit blauen Haaren am Bahnhof kontrolieren, unserem Versuch aufmerksamer und diskriminierungsärmer miteinander umzugehen und dem Denkmal der Schande in Partenkirchen. Die schönen Berge dürfen dabei natürlich auch nicht fehlen.

Am Bahnsteig
Nach langer Fahrt von Berlin fährt unser Zug endlich in Garmisch-Partenkirchen im Bahnhof ein. Beim Blick durchs Fenster überrascht uns die Anwesenheit von einem dutzend Bundespolizistinnen. Mein erster Gedanke: „Die sehen ja aus wie aus dem letzten Jahrtausend…“ Ich ermahne mich, nicht so judgy zu sein und auch in Bayern zu versuchen, mich staatlich bezahlen Gewalttäterinnen gegenüber vorurteilsfrei zu verhalten.


Wir stehen mittlerweile auf dem Gleis. Wir sortieren uns. Mein Blick schweift den Bahnsteig endlang. Keine Person of Colour zu sehen. Dafür entdecke ich eine Person mit blauen Haaren. In diesem Moment hat auch einer der uniformierten Stiernacken die Person entdeckt. Ich denke: „Das kann doch nicht sein…? Die werden doch nicht ausgerechniet…? Nein, kann nicht sein!“


Die Person mit blauen Haaren erreicht die Treppe, an der die Horde Cops herumlungert. Bisher haben sie niemanden herausgefischt, es sind nur Kartoffeln am Bahnhof. Der Stiernacken spricht jetzt ausgerechnet die Person mit den blauen Haaren an: Personalienkontrolle. Ein zweiter Cops beginnt damit, mitten auf dem Bahnsteig den Koffer der Person zu durchwühlen. Sie finden selbstverständlich nichts, die Person darf gehen. Soviel zu auch in Bayern sollte man staatlich bezahlten Diskrimineriungsbeamt*innen vorurteilsfrei begegnen…

Unsere Aktionsplattform
Gut, dass sie nicht unseren Koffer kontrolliert haben (hat sich noch nicht zur Bundespolizei in Hinterbayern rumgesprochen, das 50iger-Jahre-Streber-Mode in Berlin in und hipp ist…). Unser Koffer ist nämlich eine mobile Aktionsplattform. Auf dieser Tour enthält sie vor allem Banner, Seile, Reparaturklebeband, Nadel und Faden und Aufkleber. Denn wir haben viel vor.

Unterkunft und Berge
Untergebracht sind wir direkt am Bahnhof zwischen beiden Dörfern in der Jugendherberge Mount10 (ich hab zwei Tage gebraucht, um den Wortwitz zu bemerken…). Von hier aus kann man schon die Berge sehen. Einschließlich der schneweißen Wipfel über den mit grünen Bäumen bewaldeten Hängen. Das ist sehr schön anzusehen: Trotz der hässlichen Diskriminierungspraktiken der Cops hier.

Awareness-Workshop
Pazifismus fängt im Kleinen an. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir uns auch in unserem politischen Alltag bemühen, gewaltfrei und aufmerksam miteinander umzugehen. Das bedeutet Awareness. Leider ist die Reproduktion gewaltvollen Unterdrückungs-Verhältnissen wie Rassismus, Sexismus und Antisemitismus auch bei uns immer wieder ein Thema. Deswegen machen wir seit ein paar Jahren am Anfang jedes Treffens einen Awareness-Workshop, um uns dabei mit körperlichen, psychischen und persönlichen Grenzen bis hin zu Diskriminierungen auseinanderzusetzen. Das soll wenigstens ein Bewusstsein für die bestehenden Macht- und Herrschaftsstrukturen schaffen.

Mehr Infos und Materialien:

Unser awareness-Konzept vom „Retten statt Rüsten“

https://vernetzungpartizipation.noblogs.org/post/2023/09/19/awareness-what-can-i-do-if-im-not-feeling-well-or-if-i-want-to-form-a-complaint/

https://vernetzungpartizipation.noblogs.org/post/2023/06/08/awareness-konzept-fuer-die-jugendbegegnung/

Gletscher-Workshop: verschoben
Es hat sehr lange gedauert, das alles durchzusprechen. Deswegen haben wir das mit dem Gletschern und der Bundeswehr und wie das zusammen hängt, auf Morgen verschoben. Die von der Antimilitaristischen Aktion fanden das nicht lustig. Es war ihnen immer noch nicht genug Inhalt und zu viel Urlaub.

Sightseeing zum Schandmal
Nun wollen wir wenigstens noch einen kleinen Blick ins Stadtzentrum werfen bevor es dunkel wird. Auf dem Weg vom Bahnhof in die Innenstadt Partenkirchens kommen wir unweigerlich an einem großen Schandmal vorbei. Das Schandmal steht in einem kleinen Park. Es besteht aus einer Statue auf einem Sockel. Die Figur zeigt einen Mann, der Jesus-mäßig lediglich eine Windel um die Hüften trägt. Die Figur ist am niedersinken, in ihrer Seite stecken Pfeile oder kurze Lanzen. Sie stützt sich auf einen Baumstumpf. In einer Hand hält sie einen Stahlhelm.

Am Kopf ist ein Heiligenschein. Die Inschrift auf dem Sockel lautet: „Ihren Helden. Die dankbare Gemeinde Partenkirchen.“ Auf den als Mauer ausgeführten Flügeln, die die Installation rahmen findet man die Namen von toten deutschen Weltkriegs-Soldaten und die vermuteten Sterbedaten samt Todes-Region des Betroffenen.

Partenkirchen dankt ihren Mördern
Die Gemeinde Partenkirchen hält die Mörder und Kriegsverbrecher beider Weltkriege also für „Helden“, die sie mit Heiligenschein und Jesusgestalt verehrt. Und diesen Verbrechern, die für die nationalsozialistische Diktatur und ein undemokratischen autoritäres angebliches „Kaiser“-Reich gestorben sind, dankt die Gemeinde.

Nix mit Nazis zu tun?
Ewiggestrige veranstalten am Denkmal jährlich Zinnober mit Salutschüssen, einem Bayerischen Militärgebet, Trommelwirbel, dem Läuten einer sogenannten „Heldenglocke“. Die Gemeinde findet das ok: Die Skulptur sei bereits 1924 von einem lokalen Künstler erstellt worden. Das Denkmal habe deshalb nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun.

Faktencheck
Kurzer Faktencheck: Jener lokale Künstler heißt Joseph Wackerle. Sein größter Fan: Der Mann mit dem kleinen Bart. Man muss nur Wikipedia öffnen, um zu erfahren, dass Wackerle im Jahr 1940 auf Vorschlag von Adolf Hitler die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft erhielt. Bereits 1937 hatte Goebbels den Reichskultursenator Wackerle für den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft vorgeschlagen. Er wurde als Künstler von den nationalsozialistischen Machthabern hoch geschätzt, sodass er im August 1944 von Hitler in die Gottbegnadeten-Liste mit den wichtigsten deutschen Bildhauern aufgenommen wurde.

Helden?
Im Januar 2024 kommentierten Unbekannte das Schandmal mit einem Graffiti: „NS-Soldaten werden niemals Helden sein!“ Ein Skandal, fand die Gemeinde. Denn in Partenkirchen sind auch Nazi-Soldaten selbstverständlich noch „Helden“, denen die Gemeinde „dankt“.

https://www.merkur.de/lokales/garmisch-partenkirchen/garmisch-partenkirchen-ort28711/kriegerdenkmal-beschmiert-92780010.html

Wahlplakate
Zu diesem Geschichtsbild passen auch die Wahlplakate. Zur EU-Wahl stellt die Gemeinde mobile Plakat-Wände zur Verfügung. Diese dürfen die Parteien gemeinsam und gleichberechtigt nutzen. Es gibt etwa ein halbes Dutzend dieser mobilen Wände.

Auch die Kleinspartei ÖDP kandidiert. Sie zeigt auf den Stellwänden lediglich einmal ihren Spitzenkandidaten. Es ist eine Person of Colour. Auf diesem Bild hat jemand das Gesicht des Kandidaten zerkratzt. Es ist die einzige Abbildung einer Person of Colour auf Wahlplakaten im Ort. Und ausgerechnet dieses ist das einzige zerkratzte Kandidatenbild im Ort. Zufall? Wohl eher Rassismus!

Möhrenplatz
Es gibt aber auch stabile Leute in Garmisch-Partenkirchen. Irgendwer hat beim M-Platz am Straßenschild zwei Punkte ergänzt. Die rassistische Bezeichnung für People of Colour ließt sich jetzt „Möhrenplatz“. Am Schild eines Restaurants am Platz hat jemand eine ähnliche Änderung mit Stift und Aufkleber vollzogen. Beim Crossen des Aufklebers sind die Ultras sogar so aware, dass sie darauf achten, das trotz Überkleben die antirassistische Botschaft noch lesbar ist.

AfD trifft auf Widerstand
Beim Lesen der Lokalzeitung erfahren wir außerdem, dass die örtliche AfD sich an einer Wahlveranstaltung versucht habe. Laut Zeitung standen vor der Tür 40 Jugendliche zu protestieren. „Linksextreme“, sagt die Polizei Die Jugendlichen hätten Schilder mit so linksextremen Sprüchen wie „Die AfD ist keine Alternative“ gehalten.

Getränkeautomaten
Erfreulich sind außerdem die Getränkeautomaten, die es in Partenkirchen gibt. Statt uns abzuzocken, verkaufen sie Bier für zwei Euro.

Und wir sind nicht mal am Jugendschutz gescheitert!

This entry was posted in Allgemein. Bookmark the permalink.