Unter den Vorzeichen von Streit und Ärger um die Bewertung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sollte sich die DFG-VK beim Bundeskongress 2024 in Halle auf ihre Kernkompetenz zurückbesinnen: Die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerung. Doch es kam anders. Von Putin-Propaganda und Israelhass geblendet stimmte eine Mehrheit der Delegierten gegen die Forderung, dass Kriegsdienstverweiger:innen Asyl bekommen sollten und für ein antisemitisches Pamphlet. Am Sonntag lagen die Nerven so blank, dass ein Bundessprecher sich dazu hinreißen ließ, vom Podium herab einen unserer Delegierten als „Arschloch“ zu bezeichnen. Warum bleiben wir trotzdem in der DFG-VK? „Friedenspolitik ist viel zu wichtig, um sie wütenden älteren Herrschaften mit viel zu großen Egos zu überlassen“, sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin.
Was ist der Bundeskongress?
Der Bundeskongress, kurz BuKo, ist die größte und teuerste Veranstaltung in der Friedensgesellschaft DFG-VK. Der BuKo findet alle zwei Jahre statt (außer bei Corona). Etwa 100 Delegierte aus Landesverbänden und Basisgruppen treffen sich und reden viel (aneinander vorbei). Heimliches Hauptthema: Unsere Kundgebung „Pazifismus statt Putin-Propaganda!“ am 3.10.2024.
„Pazifismus statt Putin-Propaganda!“
Der BuKo ist keine Spaßveranstaltung. Da kommen jede Menge Leute mit problematischen Positionen (je näher die Wahlen am Sonntag rücken, desto mehr tauchten auf…). Und nur einen Tag vor Beginn am 3.10.2024 in Berlin hatten wir die so richtig geärgert. Denn statt brav mit Wahnwichteln, Antisemit*innen, einem Abschiebe-Opa aus der CSU und einem SPDler, der ihm nacheifert, auf Sahra Wagenknechts Demo abzuhängen, haben wir und die Berliner Friedensgesellschaft DFG-VK uns mit dem Aufruf „Pazifismus statt Putin-Propaganda!“ dagegen positioniert und mit Graffiti, Todkostümen und Leichensäcken vor der russischen Botschaft klargestellt: „Russland führt Angriffskrieg!“. Auf dem Buko haben wir diese Aktion, na klar, mit einer Ausstellung angemessen dokumentiert. Visuelle Raumnahme nennen wir das.
- Tag Freitag, Geschäftsordnung, Tagesordnung und Baumann-Preis
Am ersten Tag hielt sich die allgemeine Verwirrung noch in Grenzen. Trotzdem gabs gleich beim Auftakt problematisches Zeug. Hier wird die Geschäftsordnung und die Tagesordnung beschlossen. Die Tagesleitung informierte darüber, dass eine Journalist:in teilnehmen und berichten wolle. Ob das ok sei.
Wieder einmal: Pressefeindlichkeit
Sofort meldete sich jemand und widersprach im schönsten Schwurbel-Passiv: „Also da würde man ja schon gerne wissen: Woher kommt jetzt auf einmal das Interesse? (Pause) Gestern auf der Demo wurden wir ständig auf den unsäglichen Aufruf aus Berlin angesprochen…“ Und schwupps hatten wir die erste Nonsens-Debatte, ob die DFG-VK genau wie die AfD Medien den Zugang zum Kongress verweigern solle. In der Abstimmung positionierten sich zum Glück noch eine große Mehrheit gegen den gefährlichen Blödsinn.
Stadtrundgang zum antisemitischen Terror in Halle streichen?
In der zu beschließenden Tagesordnung stand ein Stadtrundgang zu den Orten des antisemitischen und rassistischen Terrors vom 9. Oktober 2019. Eine Person aus der Tagesleitung machte nochmal Werbung für diesen Programmpunkt. Dabei brachte die Person sogar das in der Friedensbewegung verhasste Wort „antisemitisch“ über die Lippen. Wie jedes Mal beantragte ein bestimmter Delegierter, in der Tagesordnung mehr Platz für Antragsberatungen zu schaffen. Dafür wollte er gerne den Stadtrundgang streichen. Eine Person aus der Tagesleitung sprach dagegen. Rückfrage aus dem Publikum: „Häh? Was war am 9. Oktober in Halle?“ Die Problemfälle und Irrlichter waren noch nicht in voller Batallionsstärke anwesend: Die Versammlung lehnte den Antrag ab und der Stadtrundgang blieb im Programm (etwa die Hälfte der Delegierten beteiligte sich am nächsten Tag. Das ist ne gute Quote, so eine Tagung ist anstrengend).
Ludwig-Baumann-Preis
Abends kam dann der Höhepunkt des Freitags: Die Verleihung des Ludwig-Baumann-Preises des Carl-von-Ossietzky-Fonds. Diesjährige Preisträger:innen sind Olga Karatch aus Belarus von der Organisation Nash Dom, die russische „Bewegung der Kriegsdienstverweigerer“ (vertreten durch Timofey Vaskin) und die „Ukrainische Pazifistische Bewegung“ (vertreten durch Yurii Sheliazhenko). Die drei berichteten über die Herausforderungen ihrer Arbeit. Und dann gabs Bier! Das nd berichtete über die Veranstaltung, wir sparen uns deshalb die Details:
Zweiter Tag Samstag: Rechenschaftsberichte, Podium zu Kriegsdienstverweigerung in Belarus und Ukraine
Der zweite Tag startete mit den Rechenschaftsberichten der Menschen mit Ämtern. Hier
machten wir ein recht gute Figur. Wir saßen ganz vorne in der ersten Reihe. Und wir hatten im Gegensatz zu den meisten Delegierten Tische, um angemessen arbeiten zu können. Gleich der erste Redner kackte uns in vorwurfsvollem Ton an: „Ihr habt gleich fünf Tage nach der Invasion vor GAZPROM demonstriert!“
Zwischenruf von uns: „Das stimmt!“ und anschließendes Gekicher und Geklatsche.
„Und ihr habt den Stop von russischen Gaslieferungen mit einem Pipeline-sägen gefordert!“
„Jawoll!“ Geklatsche und Jubel von uns.
Das war wohl eine so starke selbstbewusste Performance, dass wir den Karneval nur noch zweimal mehr machen mussten, bis derartige Attacken unterblieben.
Russischer Angriffskrieg oder „Ukrainekrieg“?
Ganz anders bei unseren Reden. Einer unserer Delegierten gibt ein starkes, argumentativ gut begründetes Statement dazu ab, dass es sich nicht um einen Ukrainekrieg, sondern einen russischen Angriffskrieg handelt. Der Redebeitrag wird von allgemeinen Störgeräuschen, Dazwischenrufen und persönlichen verbalen Angriffen seitens des Publikums mehrfach unterbrochen. Direkt danach tritt eine Delegierte von uns zum ersten Mal ans Redner:innenpult und nutzte die Gelegenheit, dem Publikum sein Verhalten zu spiegeln. Und dann noch ein Statement, dass der russische Angriffskrieg ein russischer Angriffskrieg ist, fertig. Dieses starke Statement löste bei vielen Problemfällen das Bedürfnis aus, zu widersprechen. Wir durften uns allerlei Unsinn und Verschwörungstheorie zur Nato anhören.
Richtungsweisend für die DFG-VK: Der Landesverband Berlin-Brandenburg
In der anschließenden Debatte darüber, merkte der politische Geschäftsführer an, mit dem distanzierenden Statement des Bundesverbands zur Demo am 3.10. vor allem auf den Gegen-Aufruf „Pazifismus statt Putin-Propaganda!“ aus Berlin regagiert zu haben. Das fanden wir natürlich sehr schmeichelhaft, auf diese Weise einen sicheren politischen Instinkt und eine enorme diskursive Macht bestätigt zu bekommen. Noch Fragen, ob unsere Politik erfolgreich ist?
In den 90ern hängen geblieben
In der folgenden Pause gabs dann die erste paternalistische Attacke. Ein alter weißer Mann wanzt sich an eine:n unserer Delegierten ran uns fragt ohne jede weitere Gesprächseinleitung: „Darf ich fragen wie alt du bist?“
„Du darfst fragen. Aber wenns darum geht, mich von oben herab zu belehren, bekommst Du keine Antwort.“
Sofort ging die Belehrung los. Ob unser:e Delegierte:r wüsste, was der Zbigniew Brzeziński 1997 geschrieben habe.
„Merkst Du was? 1997? Wir haben 2024. Etwas von vor über 25 Jahren soll den russischen Angriffskrieg rechtfertigen?“
Hochzufrieden: „Ah, weißt du also nicht!“
„Nein, weiß ich nicht und muss ich auch nicht wissen, denn es rechtfertig den russischen Krieg nicht…“
„Zweiter Punkt…“ versucht der alte weiße Mann sofort zu unterbrechen.
Unsere Delegierte wehrt sich und unterbricht ihn ebenfalls: „Unterbrich mich bitte nicht. Möchtest du hören, was ich zu sagen habe? Oder gehts doch darum, mich von oben herab zu belehren?“
„Zweiter Punkt…“ setzt der alte weiße Mann erneut an.
„Also gehts darum, mich von oben herab zu belehren? Darauf habe ich keine Lust. Das muss ich mir nicht antun.“
„Du hast ja keine Ahnung!“
„Und Du glaubst an Verschwörungstheorie.“
Unser:e Delegierte:r hat den alten weißen Mann dann stehen lassen. Sofort bildet sich eine Traube alter weißer Männers: Der hat keine Ahnung, blabla.
Beim Getränke-Buffet versuchte es der alte weiße Mann noch einmal. Antwort vor dem Stehen lassen: „Ändere dein Verhalten, dann red ich auch mit dir.“ War natürlich vergebens…
Podium zu Kriegsdienstverweigerung
Nach der Pause folgte das Hightlight des Bukos. Ein Podium mit Rudi Friedrich von Connection e. V., Olga und Yurii. Das war gut. Deswegen hoffen wir auch, das irgendwer anders aus der DFG-VK einen vernünftigen Bericht schreiben wird, den wir hier verlinken können! Bis dahin sei hier lediglich Yuriis Rede verlinkt:
Sie zeigt schön, wie mensch das Handeln der ukrainische Regierung auch im Krieg ohne Dämonisierungen kritisieren kann. Und sie zeigt mit den Reaktionen der Regierungen auch den Unterschied zwischen der vom Krieg bedrohten Demokratie in der Ukraine und der Diktatur in Russland. Kein Wunder, das kaum eine Ukrainer:in tauschen mag!
Arbeitsgruppe: Ist BDS antisemitisch?
Nach der Mittagspause folgten Arbeitsgruppen. Wir boten eine Arbeitsgruppe an, die untersuchen sollte, ob die BDS-Kampagne zu Recht als antisemitisch bewertet wird. Hierfür wollten wir über die fundierte Untersuchung der Expert:innen der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ (RIAS) sprechen und die Hauptforderungen der BDS-Kampagne analysieren. Die Tagesleitung teilte uns den kleinsten Raum zu. Es kamen aber so viele Teilnehmer:innen, dass die Stühle nicht ausreichten und Menschen auf den Tischen sitzen mussten. Nach einer Vorstellungsrunde lasen wir in dem Text (Seite 37-42), den wir für alle mitgebracht hatten. Anschließend ging es in die Diskussion.
Kaum Diskussion zum Thema möglich
Die Teilnehmenden sprachen wie in der Vorstellungsrunde (in der die Erwartungshaltung abgefragt wurde) überwiegend nicht zum vorgegeben Thema, sondern wollten eher ihre allgemeinen Ansichten zu Israel, Palästina und dem Nahostkonflikt insgesamt mitteilen. Die Arbeitsrunde brachte dadurch für alle kein echtes Ergebnis. Trotzdem war es gut, sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzusitzen und erleben zu können, inwieweit sich andere mit Fakten und Kritik auseinandersetzen wollen oder auch nicht (meist ging es um Kritikabwehr). Unser Vorschlag: Wir wiederholen das Ganze bei nächster Gelegenheit in kleinerer Runde und zu angemessenen räumlichen Bedingungen.
Hier folgen Highlights aus den Äußerungen der Teilnehmenden:
- der Text sei nicht in Deutschland geschrieben, sondern stamme bestimmt aus einer ominösen Quelle (oh jeh!)
- „Ich habe mal mit einem jüdischen Musiker auf der Bühne gestanden.“ „Ich war mal in Israel“ „Ich hab mal hebräisch gelernt“
- der Text von RIAS sei „tendenziös“ oder pseudowissenschaftlich, eine Meinung werde vorgegeben, das sei betreutes Denken
- „da fehlt die Kritik an Israel und die Solidarität mit Palästina“
- wenn man akzeptiere, dass BDS antisemitisch sei, würde die Rosa-Luxemburg-Stiftung keine Partnerorganisationen mehr finden
- „ist es antisemitisch, wenn man das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, solange Israel als jüdischer Staat definiert wird?“
- die Auffassung, dass jüdische Menschen nur in einem jüdischen Staat wirklich sicher vor staatlicher Verfolgung leben können, würde jüdische Menschen zu einer besonderen Gruppe machen, was Antisemitismus wäre (aha!)
Eine Ausnahmestimme: - gerade die neueren Entwicklungen bei BDS seien kritisch zu sehen, besonders ein Kultur- und Wissenschaftsboykott sei falsch und kontraproduktiv
Bericht des Geschäftsführers
Gegen 16h folgte der Bericht des Geschäftsführers. Hier machte jemand von uns eine zweite Wortmeldung. Wieder Tumult, bevor die Person überhaupt einen Satz gesagt hat. Hier fiel uns auch auf, dass die Tagesleitung die Versuche, Geschäftsordnungsanträge einzubringen, deutlich öfter ignorierte, wenn sie von einer jungen FLINTA*-Person kamen.
GO-Antrag einer FLINTA? Wen kümmert das schon?
Eine FLINTA-Person aus unserem Landesverband signalisierte während einer sich im Kreis drehenden Diskussion mit Handzeichen: „GO-Antrag auf Ende der Redner*innenliste“. Dies ist eigentlich unverzüglich zu beachten. Die Moderation, ein hauptamtlicher Cis-Dude, bemerkt das Handzeichen. Doch statt sich angemessen zu verhalten, sagt er: „Das brauchen wir jetzt nicht, wir sind eh fast fertig.“ Mal abgesehen davon, dass dieses Beiseitewischen eines GO-Antrags klar rechtswidrig ist, folgten dann auch noch 30 Minuten Debatte… Wir haben uns vorgenommen, für solche Situationen in Zukunft sensibler zu seien und bei Wiederholungen in der Zukunft z. B. auf dem Bundesausschuss angemessen Krawall zu machen.
Abschlusserklärung und Positionspapier
Schließlich waren die Abschlusserklärung und das Positionspapier dran. Aus der vorbereiteten Abschlusserklärung wurde schwupps der „linke Antisemitismus“ gestrichen – den gibt’s ja gar nicht! Mit Hinweis auf Yuriis Rede konnte (gegen Widerstände!) durchgesetzt werden, dass der russische Angriffskrieg auch so benannt wurde. Das Positionspapier ist eine Erklärung über 16 Seiten, die die politischen Positionen des Bundesverbands der DFG-VK festlegen soll. Darin stand nichts besonderes, das übliche, was man so aus der Friedensbewegung kennt. Denn ein:e Delegierte:r aus Berlin hatte im Vorfeld schon wahnsinnig viel Zeit und Energie investiert und damit das Schlimmste verhindert. Auch in diesem Dokument heißt es nun nach erneuter Diskussion richtig „russischer Angriffskrieg“ (wenigstens 1x…).
Orientierungsloser Schwurbel im Abendprogramm
Das Abendprogramm war der Flop des Jahrhunderts. Die Tagesleitung kündigte einen Vortrag zum 50. Jubiläum der Vereinigung von Deutscher Friedensgesellschaft (DFG) und dem Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) an. Wir waren recht gespannt und interessiert. Der Referent begann: „Vielen Dank für die Einladung blabla Ich freue mich hier zu sein. Viele waren ja auch damals im (genusschelte geografische Angabe) mit dabei!“ Hier hätten wir schon gehen sollen, denn danach kam die Friedensschwurbel-Shitshow:
„Und natürlich war ich auch auf der großen und ermutigenden Demo in Berlin!“
„Wer demonstriert, wird als Putin-Propagdandist verunglimpft“
„Wer Israel kritisiert, ist gleich Antisemit“ usw.
Wir sind nach ein paar störenden Zwischenrufen gegangen. Denn wer die Trümmer-Demo vom 3.10. für „ermutigend“ hält, hat nichts Kluges zu sagen. Ihm fehlt politisches Urteilsvermögen.
- Tag Sonntag (fast geschafft!)
Delegierter beleidigt den Bundeskassierer
Am Sonntag standen Wahlen und Anträge an. Und pünktlich zur Wahl hatte das problematische Klientel Verstärkung eingeflogen. Dementsprechend gings auch gleich ab: Ein Delegierter bezeichnete den Bundeskassierer als „Lügner“. Na klar ohne Ordnungsruf der Sitzungsleitung oder einer Intervention aus dem ach so an gewaltfreier Kommunikation interessierten Publikum oder auch nur von seinen Kolleg:innen aus dem BSK. Wir finden: Das ist rückgratlos.
Gewaltfreie Kommunikation in der DFG-VK: Rumschreien
Eine Person von uns bittet ums Rederecht, kritisiert den eben geschilderten Vorgang. Delegierte unterbrechen die Rede mit Zwischrufen. Der Delegierte, der „Lügner“ gesagt hatte, schreit unsere:n Delegierte:n lauthals an. Die Sitzungsleitung muss mit Mikro gegenschreien, der Beleidiger schreit nochmal, die Sitzungsleitung muss mit Mikro zurück schreien.
Bundeskongress als rechtsfreier Raum?
Eine Person von uns stellt einen GO-Antrag an die Tagesleitung: Störer:innen möge angedroht werden, des Raumes verwiesen zu werden. Die Tagesleitung behauptet, der GO-Antrag sei unzulässig, die Tagesleitung könne keine Leute rausschmeißen, weil es keine derartige Sanktion in unserer Satzung gäbe. Wir verweisen auf Hausrecht und müssen uns belehren lassen, dass das nicht ginge. Als ob bundesdeutsche Gesetze keine Gültigkeit mehr hätten, nur weil sie nicht in der Satzung der DFG-VK stehen…
Nächste Beleidigung: Diesmal von einem Bundessprecher
Eine Person von uns thematisiert diesen Vorgang beim nächsten ordentlichen Redebeitrag, erklärt die juristische Lage und fordert die Tagesleitung auf, endlich Rückgrat zu zeigen. Thomas Carl Schwoerer, Mitglied der Tagesleitung und im Vorstand antwortet darauf vom Podium herab mit „Arschloch“.
„Zeigt mal Rückgrat“: Beleidigung oder begründetes Werturteil?
Später bei der Kandidat*innenenvorstellung zur Wahl des Bundessprecher:innenkreis fragt der betroffene Delegierte von uns: „Thomas, du hast mich ja gerade nach meinem Redebeitrag von Podium herab als, Zitat, ‚Arschloch‘ bezeichnet. Müssen wir auch in Zukunft mit solchen Aussetzern bei einem BSK-Mitglied rechnen?“ Thomas Carl entschuldigt sich daraufhin, und sagte, er fände es angemessen, wenn die betroffene Person sich für die Aufforderung entschuldigen würde, die Tagesleitung möge mal Rückgrat zeigen.
Wir haben Thomas Carl um eine Stellungnahme zu der Schilderung gebeten. Er hat geantwortet. Er stellt klar, das er die Aufforderung „Rückgrat zu zeigen“ ebenfalls als beleidigend empfindet, denn sie impliziere, dass die angesprochenen Personen das sonst nicht hätten.
Beschränkung auf zwei Redebeiträge für alle Anträge
Kurz vor der Bearbeitung der satzungsändernden Anträge stellte ein DFG-VK Mitglied den GO-Antrag, dass aus Zeitgründen zu jedem Antrag nur eine Für- und eine Gegenrede erlaubt sei. Da diese Vorgehensweise völlig undemokratisch ist (Redebeiträge wurden nach dem Motto „Wer zuerst kommt mahlt zuerst“ vergeben) und eine gemeinsame politische Willensbildung komplett verunmöglicht, hielt eine:r unserer Delegierten stark dagegen. Nach einer anschließenden Abstimmung wurde der GO Antrag allerdings angenommen. Demokratie scheint für viele DFG-VKler*innen keine Priorität zu haben.
GO-Antrag einer FLINTA*? Kümmert immer noch keinen
Während den Anträgen stellten unsere Delegierte mehrfach erfolglos GO-Anträge dafür, diese Regelung wieder aufzuheben, um einen demokratischen Austausch zu ermöglichen. Doch wieder einmal wurden ausgerechnet die Anträge einer FLINTA Person von der GO mit einer Handbewegung weggewischt und als unwichtig erklärt.
Ab in den Kaninchen-Bau
Nach den satzungsändernden Anträgen fiel der Kongress entgültig in den Kaninchenbau. Die Delegierten mit inhaltlich problematischen Prositionen setzten durch, zwei Initiativanträge bevorzugt zu behandeln. Der erste Antrag beauftragte den BSK, den Organisator:innen der Demo am 3.10. des Bündnisses „Nie wieder Krieg“ bezüglich zukünftiger Positionen in den Arsch zu kriechen.
DFG-VK gegen Recht auf Kriegsdienstverweigerung
Da klar absehbar war, dass so viele Fans von Putin-Propaganda da waren, dass der Antrag beschlossen werden würde, versuchten wir, mit einem Änderungsantrag das Schlimmste zu verhindern. Er lautete, die Forderung nach Asyl für Kriegsdienstverweigerung aufzunehmen. Der Bundeskongress lehnte dies jedoch hab.
Wir beantragten daraufhin mit einem GO-Antrag an die Sitzungsleitung, dass diese das nun offensichtlich scheinheilige Banner mit „Asyl für Kriegsdienstverweigerer“ vom Podium entfernen möge.
Die Sitzungleitung behauptete rechtswidrigerweise, dass dieser Antrag zur Sitzungsleitung formell ungültig sei. Eine Person aus der Tagesleitung solidarisierte sich mit uns, indem sie den Kleber, der das Banner hielt, löste. Zwei unserer Delegierten erhoben sich, um das Banner vollständig zu entfernen. Nun klappte es mit den Ordnungsrufen gegen Störer endlich! Wir gaben nach um des lieben Friedens Willen und nahmen wieder auf unserem Stühlen Platz.
Israel-Hass
Der zweite Initiativantrag lautete: „Verurteilung des Terror-Angriffs des israelischen Geheimdienstes“. Mit allem drum und dran, was das israelhassende Herz begehrt. Und er wurde mit großer Mehrheit angenommen: Was eint die Friedensbewegung: Der Hass auf Israel… Danach beendete die Sitzungsleitung den Kongress fast pünktlich. Wir freuen uns schon auf das Rumgeopfere, wenn der israel-feindliche Beschluss an die Medien geht und die dann angemessen darüber berichten.
Edit 24.10.2024: Der Landesverband Bayern hat die antisemitische Hetz-und-Hass-Erklärung mittlerweile veröffentlicht. Dabei haben sie jedoch den Absatz mit der Aufforderung, dass das dick und breit an Medien verschickt werden solle, stillschweigend gestrichen:
Update 22.10.2024: Der Herr, mit dem wir die gleich im folgenden Teil beschriebene Auseinandersetzung hatten, hat sich in der Schilderung erkannt. In einer Mail schreibt er: „Die Behauptung ich hätte das Vorstehende gesagt, ist frei erfunden.“ Er verlangt die Löschung des ganzen Absatzes und droht mit dem Beantragen einer Einstweiligen Verfügung. Wir haben ihm die Anschrift unseres Anwaltes mitgeteilt, damit das Gericht den Schreibkram da gleich hinschicken kann.
Die nächste Attacke
Wenig überraschend gab es nach dem Ende beim Aufräumen noch eine paternalistische Attacke. Ein alter weißer Mann spricht einen unserer Delegierten an. Er sagt, dass er den GO-Antrag, dass immer nur zwei Leute zu Anträgen reden dürften scheiße fand.
Unser Delegierter antwortet, dass er das genauso sieht, der Antrag nicht von ihm kam und er dagegen gestimmt habe.
Aber der alte Mann hört gar nicht zu und hörte nicht auf, unsereren Delegierten für den besagten Antrag verantwortlich zu machen.
Unser Delegierter widerspricht erneut. Dass das nicht sein Antrag gewesen sei. Dass unser Delegierter ja wohl besser wüsste, was unser Delegierter für Anträge gestellt habe, und dass der alte Mann das zur Kenntnis nehmen möge statt unseren Delegierten weiter von oben herab zu belehren.
Doch der alte weiße Mann war nicht mehr zu bremsen: Es folgen wilde Israel dämonisierende und delegitimierende Schlagworte in einem beeindruckendem Stakkato. (Edit 23.10.2024: Wir haben konkrete Schlagworte gegen eine generalisierende Formulierung getauscht).
Unser Delegierter hat dann genau wie der alte Mann die Schallplatte angemacht und die Kernbotschaft laufend wiederholt: „Ich hab den Antrag nicht gestellt. Ich hab den Antrag nicht gestellt. Ich hab den Antrag nicht gestellt.“
Das hat 7 oder 8 Durchgänge gedauert, bis das Gehirn des alten weißen Mannes die Information zur Kenntnis genommen hat.
Ganz kurze Pause.
„Hältst Du mich für bekloppt?“
Unser Delegierter hätte am liebsten „..so wie du dich verhältst?…“ gesagt, aus Mitleid mit dem alten weißen Mann dann aber weiter geschallplattet.
Nach noch zwei Durchgängen drehte sich der alte weiße Mann um und zog schimpfend und beleidigend von dannen. So stellt man sich in der Friedensgesellschaft Gewaltfreiheit vor…
Fazit
Der russische Angriffskrieg ist ein russischer Angriffskrieg. Die Kriegsursache sitzt in Moskau (auch wenn fast die Hälfte der Delegierten mit dieser Sichtweise ein Problem haben…). Für Verhandlungen ist es notwendig, gewaltfrei genug Druck auf den Kreml zu machen, dass dieser sich überhaupt darauf einlässt. Doch wie kommen wir dahin? In der Friedensbewegung gibts dazu nur Schweigen im Walde oder inhaltsleeres Gebrabbel von „Verhandlungen“: Zu stark ist der Antiamerikanismus, als dass unserere Vordenker:innen hier sinnvolle Vorschläge machen würden.
Wie gehts weiter?
Hinter vorgehaltener Hand sagten uns Verbündete, dass sie sehr dankbar für unsere Leichensack-Graffiti-Tod-Kostüm-Aktion seien. Doch öffentlich auf der Bühne kam dies niemandem über die Lippen. Auch der BSK wollte von seiner politisch richtigen Distanzierung von der Nie-wieder-Krieg-Demo nicht mehr besonders viel wissen.
Bei uns herrscht angesichts dieser Situation Erleichterung. Von uns ist niemand mehr im Bundessprecher*innenkreis. Wir müssen fragwürdige Konsens-Nonsens-Entscheidungen, die angeblich Schlimmeres verhindern, nicht mehr mittragen.
Das Problem ist: In der Friedensbewegung geht es um Gefühl, nicht um Fakten. Und aktuell fühlen die in keinerlei realistischem Bezug zu ihren Fähigkeiten stehenenden Egos dieser Herrschaften sich vor allem zu Recht nicht ernst genommen (wie soll man sie auch ernst nehmen, bei dem, wie sie sich verhalten, und dem, was sie von sich geben?)
Da wird es auch nicht besser, wenn das nervige Junggemüse inhaltlich Recht hat und auch noch weiß, das zu zelebrieren, statt sich brav und unterwürfig zu verhalten; im Gegenteil!
Auf den Mailinglisten werfen uns die Leute mit inhaltlich super problematischen Positionen schon vor: „[…] bestimmte Leute machen ja hier weiter, wo sie in Halle aufgehört haben […].“ Na klar werden wir weiter klar stellen, das der russische Angriffskrieg ein russischer Angriffskrieg ist.
Na klar werden wir weiter benennen, das echter Pazifismus nix mit Putin-Propaganda zu tun hat.
Na klar werden wir auch weiter Antisemitismus und anderen -ismen widersprechen.
Weil Friedenspolitik viel zu wichtig ist, um sie wütenden älteren Herrschaften mit viel zu großen Egos zu überlassen.
Schön, das die Leute mit problematischen Positionen das in Halle vielleicht nicht verstanden, aber wenigstens erfühlt haben.
Mehr Infos:
Bericht vom Buko 2022 in Duisburg
Bericht vom Buko 2020 in Frankfurt/Main