Aktivistische Basisorganisation oder NGO?

In der Zivilcourage 4/21 ist der Text „Aktivistische Basisorganisation oder NGO?“ Detlef Mielke aus Bad Oldesloe beschreibt darin seine Erfahrungen als ehrenamtlicher Friedensaktivist in der Zusammenarbeit mit Hauptamtlichen. Er kritisiert, dass NGOs vor allem mit NGOs reden und das durch den Zwang zum Spenden einwerben Kreativität und Radikalität verloren gehen. Er wirft die Frage auf, ob die DFG-VK eine NGO oder eine aktivistische Basisorganisation sein soll.

Weil der Text in unseren Augen viele wichtige Gedanken enthält, haben wir Detlef gebeten, ihn hier bei uns noch einmal veröffentlichen zu dürfen. Bei uns haben wir ihn ganz leicht angepasst an das Blog-Format bezüglich der Lesbarkeit. Bitte lest ihn ganz, die wirklich spannenden Argumente kommen erst in der zweiten Texthälfte.

Der Text enthielt außerdem eine Auflistung der Stellen in der DFG-VK, einschließlich Namen der Angestellten,und eine Darstellung wie sich dies in den letzten Jahren entwickelt hat. Diese haben wir entfernt. Für eine Diskussion unter Entscheidungsträger*innen im Verband mag das wichtig sein, hier jedoch nicht. Das Original findet sich -> hier <-

Aktivistische Basisorganisation oder NGO?

Kritik an der zunehmenden Verhauptamtlichung im DFG-VK-Bundesverband

Von Detlef Mielke

In der DFG-VK wurden in den vergangenen Jahren Stellen für bezahlte Friedensarbeit auf Bundesebene neu eingerichtet oder aufgestockt. Größtenteils wurden sie aus dem Bundesverbandshaushalt bezahlt, manchmal von einem Förderer bezuschusst. Parallel zu mehr bezahlten Kadern gab es seit drei Jahren regelmäßig ein größeres Defizit im Bundeshaushalt, das zum Teil auf die Personalkosten zurückzuführen ist. Nun wurde durch Beschluss des Bundesausschusses eine Stelle für Lobbyarbeit in Berlin besetzt. Finanziert wird sie von einem Mitglied des BundessprecherInnenkreises.

Aus dem Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein haben wir immer gegen die Stellenaufstockung im politischen Bereich und das damit verbundene eingeplante Defizit im Bundeshaushalt gestimmt – und sind unterlegen. Eine Anlehnung der Gehälter an den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst haben wir befürwortet, ebenso eine ausreichende personelle Ausstattung der Verwaltung. Die seit Jahrzehnten bestehende 50-Prozent-Stelle für die Erstellung der ZivilCourage haben wir nie infrage gestellt.

Wir unterscheiden zwischen der notwendigen personellen Ausstattung für die Grundorganisation der DFG-VK, etwa die Mitgliederverwaltung, die Buchhaltung und den Materialversand, und den politischen Stellen wie politische Geschäftsführung, Referentin für Friedenspolitik, „Bullifahrer“ usw. Es geht uns ausdrücklich nicht um die Kompetenz der bisherigen politischen Kader, aber die Entwicklung hin zu einer NGOisierung halten wir aus finanziellen und aus politischen Gründen für falsch.

Wir betrachten nur die Entwicklung auf der Bundesebene, die Entscheidungen auf der Landesverbandsebene müssen dort verantwortet werden. Landesverbände und Gruppen entscheiden in der DFG-VK zum Glück und entsprechend der Satzung immer noch autonom – und das sollte auch so bleiben. Im Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein haben wir seit Jahrzehnten entschieden, keine Mitgliedsbeitragsanteile in Personalkosten zu stecken. Weniger Aktivitäten und Materialien als bei anderen Landesverbänden gibt es dadurch nicht. Sichtbar sind diese Landesverbandsaktivitäten z. B. auf unserer Homepage www.bundeswehrabschaffen.de

Kritik an der NGOisierung der DFG-VK mit einer finanziellen Begründung
Laut Haushaltsplan ist allein in den drei Jahren 2018, 2019, 2020 ein Defizit von 131 873 Euro zusammengekommen – und das ist noch schöngerechnet. Werden AfA (Absetzung für Abnutzung) und Gruppenverwahrgelder berücksichtigt, sind es 179 793 Euro. Für 2021 ist erneut ein großes Defizit im Haushalt des Bundesverbandes eingeplant (53 119 Euro mit AfA). Die einzige Gegenstimme bei der Verabschiedung des 2021er-Haushalts Ende Februar kam von mir.

Es ist schon abzusehen:
Auf dem Bundeskongress Ende Oktober wird es vermutlich Anträge zur Erhöhung der Mitgliedsbeiträge geben – obwohl alle Mitglieder sich selbst einschätzen und ihre Beitragsstufe festlegen. Vermutlich wird es erneut Versuche geben, die Beitragsanteile für die Gruppen zugunsten des Bundesverbandes zu schmälern.

Woher kommt das Geld für eine neue Stelle, das schon für die vorhandenen nicht da ist?
Die neue Stelle für Abgeordnetenbeeinflussung in Berlin soll für den Bundesverband kostenneutral sein. Das Gehalt mit allen dazugehörigen Kosten wird von besagtem Förderer zweckgebunden finanziert. Die DFG-VK hat etwa so viele Mitglieder wie ein größerer Kleinstadtsportverein. Auch in solchen Sportvereinen gib es manchmal Begeisterte, die Spielerkader ihrer Sportart mit großen Geldbeträgen „einkaufen“. Erst einmal nichts Problematisches, solche Großspender, könnte Mensch denken. Aber letztlich entstehen, trotz guter Absichten, informelle Abhängigkeiten.
Kritik an der NGOisierung der DFG-VK mit politischer Begründung

Bezahlte Abgeordnetenbeeinflussung nutzt dem Ringen gegen Krieg und Militär und für Frieden wenig. In Berlin arbeiten 5 000 bis 6 000 bezahlte Abgeordnetenbeeinflusser*
innen. Nun kommt ein Mensch dazu und zwar ohne den großen Geldsack im Hintergrund, ohne JuristInnenstäbe, die genehme Gesetze vorformulieren, ohne Jobs, die im Drehtüreffekt für die Zeit nach dem Abgeordnetendasein ein überdurchschnittlich hohes Einkommen garantieren.

Ein „Geschmäckle“ hat es, wenn jemand Geld bekommt, um Abgeordnete zu beeinflussen. Was ist dann bei der DFG-VK anders als etwa bei Chemieriesen, Automobilverbänden oder der Pharmaindustrie – außer die Größe des dahinter hängenden Geldbeutels? Anders ist es, wenn Bürger*innen Abgeordnete ansprechen oder zu überzeugen versuchen. Das entspricht in der Theorie dem Prinzip des Parlamentarismus. Theoretisch sollen die Abgeordneten die Bevölkerung vertreten.

Kreativität und Bissigkeit gehen NGOs mit der Zeit meist verloren
Abgeordnetenbeeinflussung ist das, was bezahlten Kadern von NGOs zuerst einfällt. Da sie ihre Stellen finanzieren müssen, fällt ihnen natürlich auch noch die Akquise von Spenden sowie Zuwendungen von Staat und Wirtschaft als wesentliches Arbeitsfeld ein. Wir alle kennen die regelmäßigen Bettelbriefe zum Jahreswechsel. Mit der Arbeitsweise passen NGOs sich an die Strukturen des Staates an, anstatt Basisdemokratie und Bürger*innenbeteiligung zu stärken.

Ein Zauberwort für NGOs sind Feldzüge, Kampagnen genannt. Kleine überschaubare, zeitlich begrenzte Aktivitätsabfolgen. Diese Feldzüge können dann publiziert und für sie Mittel eingeworben werden. Die bezahlten Kader werden oft als Campaigner*innen betitelt. Auch die DFG-VK hat Fortbildungen zur Campaigner*in mitfinanziert.

Kampagnen lehnen wir nicht grundsätzlich ab, sie können aber nur dort sinnvoll taktisch eingesetzt werden, wo sie in ein langfristiges strategisches Konzept passen. Unsere programmatische Arbeit ist langfristig auf Jahrzehnte angelegt. Das widerspricht jedoch der Zeitbegrenztheit von Kampagnen.

NGO oder Bewegungsorientierung?
NGOs reden oft mit NGOs und viel seltener mit der Bewegung. Schon bei der Frage der Tageszeit von Besprechungen klappt eine Zusammenarbeit von NGO-Kadern und Bewegungsaktiven oft nicht. Denn die Aktiventreffen finden meist an Wochenenden oder am Abend nach 20 Uhr statt; die Angestellten der Weltanschauungsfirmen wollen aber auch mal Feierabend haben – spätestens dann, wenn sie das Alter eines bürgerlichen Familienlebens mit Kindern erreicht haben und die Partner*innen maulen.

Kader der einen NGO verstehen Kader der anderen NGO meist viel besser als gerade neu Politisierte. Also unterstützen sie sich bei ihren Fotoaufstellaktionen etwa vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Ganz normale Freizeitaktivisten kommen selten in großer Zahl dazu. Zu verfolgen ist das auf diversen Fotos z.B. auf den Homepages von unter 18 nie, Macht Frieden usw. Sicherlich sind bei kleinen lokalen Aktionen meist nicht viel mehr Aktive, diese werden aber auch nicht als „Berufsdemonstrant*innen“ für viel Geld bezahlt.

NGOisierung ist eine Mobilisierungsfalle
„Weshalb soll ich denn Protokoll schreiben, wenn doch hier jemand sitzt, der/die für die Anwesenheit Geld bekommt?“, frage ich mich manchmal. Bin ich Dienstleister für die Kader oder diese für mich?

Wenn wir als Ehrenamtler Mitglieder und Freunde ansprechen, stellen diese ihr Expert*innenwissen oft kostenlos zur Verfügung, weil auch wir unsere Aktivitäten unentgeltlich einbringen. Die Angesprochenen ergänzen dann den Aktivenstamm der Gruppe. Sind bezahlte Kader bei Vorbereitungen oder Aktionen dabei, geht das Handeln auf Augenhöhe verloren. Ehrenamtlich Aktive fühlen sich manchmal nur als Statist*innen. Wenn es um Gruppenbildung und den Zusammenhalt von Gruppen geht, sind die Hauptamtlichen wieder weg.

Bei den Stärken der DFG-VK ansetzen
Eine Stärke der DFG-VK ist die politische Verankerung in der Fläche durch autonom agierende Landesverbände und Ortsgruppen mit Aktiven, die viel Freizeit in unseren Verband stecken und die DFG-VK in lokalen und regionalen Netzwerken verankern.

In unseren Ortsgruppen ist die Anzahl der Aktiven wichtiger als die Zahl der Mitglieder. Wir freuen uns natürlich über Mitglieder, denn sie bestätigen unsere politische Arbeit und tragen zu deren Finanzierung bei. Einige machen mit ihren Möglichkeiten Öffentlichkeitsarbeit z.B. in sozialen Medien oder ihrem Wohnumfeld. Kern der Außenwirkung aber sind die Gruppenaktiven, die regelmäßig in Fußgängerzonen, vor Schulen oder Jobmessen, vor Kasernentoren oder bei Festivals stehen, die mit Infoständen und Transparenten auf Demos präsent sind oder diese gar selbst organisieren. Diese Gruppenaktiven können von bezahlten Kadern auf keinen Fall ersetzt werden.

Kann beides nebeneinander herlaufen? Ja, es könnte sich ergänzen wie z.B. die Youtube-Filmchen des politischen Geschäftsführers Michael Schulze von Glaßer über Gruppenaktivitäten (hier ein Film mit Detlef. Man beachte die Aufruf-Zahlen: Mit über 800 Klicks ist es mit Abstand eines der meist geschauten Videos der DFG-VK); aber nur, wenn die Gruppenautonomie erhalten bleibt und wenn für die Finanzierung bezahlter Kader nicht die Mittel der Gruppen gekürzt und immer weiter Schulden gemacht werden – was mittelfristig die Existenz der DFG-VK gefährdet.

Detlef Mielke ist seit Jahrzehnten auf Gruppenebene und im DFG-VK-Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein aktiv; im Bundesausschuss vertritt er seinen Landesverband.

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.