Vor ner Woche haben wir ein notwendiges Statement zum letzten Bundesausschuss mit dem N-Wort-Drop veröffentlicht. Seitdem gehts ab auf der Mailing-Liste.
Annehmen der Kritik? Einsicht? Entschuldigungen? Vorschläge, wie es konstruktiv weiter geht? Fehlanzeige. Statt dessen Ansagen wie, dass man ja früher Sandmändchen und Pittiplatsch geschaut habe und dort schon Antirassissmus beigebracht bekommen habe. Eine Delegiert*e fragt sogar, ob man denn jetzt endlich die israelische Regierung kritisieren dürfe. Keine Ironie, keine Polemik, die Debatte läuft leider wirklich auf diesem Niveau.
Tendenz dabei: Je mehr die Leute sich im Normalbetrieb mit „gewaltfreier Konfliktlösung“ und „gewaltfreier Kommunikation“ beweihräuchern, desto krasser daneben und gewaltvoller die Statements. Eines der wenigen positiv herausstechenden Statement ist das der AG „Intersektionalismus in der Friedensbewegung“, das wir hier deswegen crossposten:
Wie Rassismus aus Worten spricht
Das N-Wort, Debatten im Verband und die Herausforderung der innerverbandlichen Wandlungen
Die DFG-VK erlebt über ihre verbandsinternen Mailverteiler eine Rassismusdebatte. Dass sie geführt wird, finden wir, Mitglieder der AG Intersektionalität in der DFG-VK, absolut notwendig, den Anlass halten wir für absolut zu problematisieren, den Verlauf der Debatte für symptomatisch und die Folgen für bedrückend. Zunächst zum Anlass: In einer Debatte des BA fällt das N-Wort.
Offenbar sind die Anwesenden Personen nicht in der Lage dies sofort zu benennen, nur vereinzelt wird „gestöhnt“. Dass nach längerer Zeit aufgrund der Redeliste eine Person kritisch interveniert, wird von allen Personen anerkannt. Bislang wird bestritten, wer das N-Wort ausgesprochen hat. Es wird eine Diskussion über die Absicht der Wortverwendung geführt. Die umfangreiche Schilderung des Vorfalls und seinerseits die selbstkritische Anmerkung, dass eben niemensch interveniert hat, geraten in die Kritik. Was fehlt: Einkehr, Nachdenken, Annehmen der Kritik. Erst Recht: eine Entschuldigung. Weshalb? Was ist daran so schwer?
Das N-Wort und seine Geschichte (nicht nur) im deutschen Kontext
Noah Sow schreibt in ihrem bekannten Buch „Deutschland Schwarz-Weiß. Der alltägliche Rassismus“, das 2009 erschienen ist, zum N-Wort: „Die Legitimation des N-Wortes ergab sich […] nie aus einem Prozess heraus, in dem Selbstbestimmung und Selbstbenennung Schwarzer Menschen eine Rolle gespielt hätten, sondern entwuchs der »Definitionsmacht« weißer Deutscher.
Anders als etwa in den USA, wo Prozesse der Selbstbenennung (self-naming) seit vielen Jahrzehnten Teil eines öffentlichen Diskurses sind und zu den Emanzipationsbestrebungen verschiedener Bevölkerungsgruppen gehören, werden ähnliche Bemühungen in Deutschland – und diese gibt es durchaus – weitgehend von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert.
Die Verwendung des N-Wortes durch weiße Personen geschieht heutzutage in ausschließlich beleidigendem und exotisierendem Kontext. Und nicht nur das: Das vermeintliche Recht der Hauptgruppe auf diffamierende Benennung aller weiteren Gruppen wird in Deutschland als Herrenrecht noch heute angestrengt verteidigt.“ (S. 113)
Wer erkennt diese Debatte in den Äußerungen auf den Emaillisten wieder?
Sie wird in dieser Analyse von zahlreichen Publikationen gestützt: vom maßgeblichen und zielsetzenden Wörterbuch „Wie Rassismus aus Wörtern spricht“, herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard; Natasha Kellys „Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!“; Grada Kilombas „Plantation Memories“ oder Tupoka Ogettes „Exit Racism“. Und vielen vielen Stimmen mehr – auf Deutsch, auf anderen Sprachen, mit Bezug zum deutschen Kontext oder globalgeschichtlich.
Es gibt keine Rechtfertigung für eine weiter fortgesetzte Verwendung des Begriffes. Außer Rassismus. Was es unseres Erachtens braucht: Die Bereitschaft, zuzuhören; die Offenheit, anzuerkennen; die Willenskraft, zu lernen; die Reflexivität, zu überdenken und sich zu entschuldigen; eine aktive Veränderung des Verbandes, und verschiedene Ansätze, dies zu erreichen – von Workshops, über kritische Diskussionen, bis hin zur Bereitschaft zu lesen und als Verbündete einzustehen.
Denn es ist kein individuelles oder das Befinden betreffendes Problem, es ist ein systemisches Problem – und dies beginnt bei den Worten und setzt sich fort in unseren Strukturen!
Dazu mag der programmatische Text von Ursula Wachendorfer (2009) beitragen: Weiße halten weiße Räume weiß (Eggers et al 2009: S.530-539). Darin schreibt sie: „Rassistische Gesellschaftsstrukturen werden […] individualisiert und zu einem psychodynamischen Problem gemacht. In der Verschiebung des Problems auf die Schwarze Person wird diese zugleich rassifiziert, während der weiße Standpunkt „neutral“ und zugleich wohlmeinend bleibt.“
Denn: Die helfende Kraft der ironischen Brechung: May Ayims Gedichte
May Ayim – ansichtssache (1982. in: Ayim, blues in schwarz weiss, S.34)
über sicht
wer nur mit vorsicht
rücksicht übt
gesteht der weitsicht ein
daß sie in hinsicht
auf die klarsicht
die nachsicht übersieht
übersicht
wer vor sich selber schaut
nicht viel an andere denkt
trägt die verantwortung
allein für sich
sieht seinen weg genau
das gibt ihm sicherheit
wenn hinter oder neben ihm
mal eine hilfe braucht
womöglich sieht er das dann nicht
Unser Fazit:
jeder Pazifismus hat intersektional zu sein und anzuerkennen, dass alle Gewaltformen und -systeme gleichermaßen Gewalt sind und überwunden werden müssen. Es bedarf keiner besonderen Begründung, wenn das eingefordert wird. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen des Verbandes.
Dass es Mitgliedern schwer fällt, dies überhaupt anzuerkennen, sollte nicht toleriert werden – dass es für alle Arbeit bedeutet, dies zu verändern, gerade in einer Gesellschaft, die sich als eine inhärent rassistische, sexistische, klassistische und ableistische Struktur reproduziert, ist nachvollziehbar.
Es muss gemeinsame Erinnerung daran sein, dass es eben nicht für alle gleichermaßen möglich ist, hier zu leben, zu partizipieren und für Frieden zu streiten. Dafür wiederum sollten wir auch streiten.
Gerade hier erscheint es gnadenlos hart, dass sich erst am vergangenen Wochenende Aktive aus vielen Verbänden der Friedensbewegung (WILPF, Versöhnungsbund, DFG-VK, Friedensregion Bodensee, ICAN, u.a.) in Hannover zu einer besseren verbandsübergreifenden Vernetzung innerhalb der Bewegung zu Fragen von Intersektionalität getroffen haben. Der Kontrast könnte kaum stärker sein.
28.3.2023 (hier waren Namen der Mitglieder der AG aufgeführt, wir von der amab halten nicht so viel von Namen auf unserer HP, deswegen haben wir sie raus genommen) als Mitglieder der AG Intersektionalität
P.S. Zum Rassismus gegen Weiße:
Es gilt festzuhalten, dass es selbstredend rassistische Diskriminierungen gegen Gruppen gibt, bei denen rassistische Kategorisierungen verzweifelt herbeikonstruiert wurden (vgl. die Phänotypologie der Faschisten) – auch weil es sich nicht so leicht über Hautfarbe ausdrücken ließ.
Allerdings ist eine kritische Weißseinsforschung kein rassistisches Projekt, sondern ein Aufruf zur Reflektion, dem „Entlernen“ rassistischer Denk- und Handlungsmuster und aktiver Privilegiendekonstruktion.
Die Begrifflichkeit „alter, weißer Mann“ oder auch „Schwurbler*in“ bezeichnet – wenn auch polemisch, und ja, für manche verletzend – eine Diskursposition, die bewusst eingenommen oder nicht verlassen wird, keine gesellschaftlich konstruierte und sich in strukturellen Ausschlüssen ausdrückende Unterdrückungsstruktur.
Denn nein, Meinungen, Positionen, Äußerungen von „alten weißen Männern“ werden zunehmend in Frage gestellt und nicht (mehr) für bare Münze genommen, ihre gedanklichen und ideologischen Grundlagen hinterfragt bzw. kritisiert, aber eine Unterdrückung gegen diese Menschen liegt mehrheitsgesellschaftlich nicht vor.
Eine solche zu behaupten ist ein Hohn sondergleichen gegenüber den von Rassismus und anderen Diskriminierungsstrukturen betroffenen Menschen.
Vgl. dazu auch: Eggers et al 2009; Sow 2009; Ogette 2017.
Auch gut zu verstehen ist u.a. diese Zusammenfassung von Quarks: https://www.quarks.de/gesellschaft/gibt-es-rassismus-gegen-weisse/
Literatur und Verweise:
Sow, Noah (2009): Deutschland Schwarz-Weiß. Der alltägliche Rassismus. München: Goldmann.
Ayim, May (2005 [1995]): blues in schwarz weiss. Gedichte. Berlin: Orlanda Frauenverlag.
Eggers, M.M.; Kilomba, G.; Piesche, P.; Arndt, S. (Hrsg.) (2009): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast.
Kelly, Natasha (2021): Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen! Hamburg: Atrium Verlag.
Kilomba, Grada (2008): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: Unrast. Ofuatey-Alazard,
Nadja; Arndt, Susan (Hrsg.) (2022 [2011]): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast.
Ogette, Tupoka (2017): exit RACISM. rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast.