„Was ist das für eine Friedensbewegung?“

Interviews mit den Aktiven der Antimilitaristischen Aktion Berlin

Die folgende Text wurde auch in der Ausgabe 1 / 2025 von FriedensForum und auf der Seite vom Netzwerk Friedenskooperative veröffentlicht.

Wir sind die Antimilitaristische Aktion Berlin. Uns gibt es seit 2018 mit wechselnden Menschen. Wir sind als Basisgruppe in der DFG-VK Berlin-Brandenburg und im Jugendnetzwerk aktiv. Wir sind ein Kreis aus etwa einem Dutzend Personen (plus Netzwerk.) Bei uns arbeiten Menschen von Anfang 20 bis hin zu denjenigen, die an der 20-Semester-Langzeitstudi-Marke kratzen, zusammen. Wir sind eine der wenigen Gruppen in der Friedensbewegung mit einen Altersschnitt näher an der Null als an  Hundert.

Wir bringen Antimilitarismus in unterschiedlichen Aktionsformen auf die Straßen Berlins. Mit symbolischem Pipeline-Sägen bei GAZPROM, Leichensäcken vor der Russischen Botschaft, Adbustings, die auf Firmen aufmerksam machen, die immer noch Putins Angriffskrieg in der Ukraine finanzieren und Rettungsinseln vorm Kanzler*innenamt geht es stets darum, Krieg und Militär zu delegitimieren, zu stören und zu hinterfragen. Regelmäßig landen wir mit unseren antimilitaristischen Themen erfolgreich in den Medien. Wir scheuen uns auch nicht vor der gerichtlichen Auseinandersetzung. Im Dezember 2023 haben wir einen Fall vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe gewonnen. Trotz oder gerade wegen unseres „Krawall & Remmidemmi-Styles“ haben wir in den letzten Jahren dutzende parlamentarische Anfragen erwirkt und sind im Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus gut vernetzt. Und das alles ohne Hauptamtliche!

Doch wie verortet die Gruppe sich in der Friedensbewegung? Wir haben einige unserer Mitglieder gefragt:

Supergrover (weiß, cis-Dude, 24):
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/ antimilitaristisch?
Rekordgewinne für Rüstungsunternehmen, eine durch Militarismus angeheizte Klimakatastrophe und die Bundeswehr als Waffenfundus für Rechtsextreme sind nur einige Gründe. Der eskalierende politische und gesellschaftliche Rückhalt für militärische Lösungen von politischen Konflikten besorgt mich zutiefst. Dadurch werden außerdem dem Militär inhärente autoritäre und patriarchale Denkmuster verstärkt.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Welche Friedensbewegung? Spaß am Rande, aber ich fühle mich leider nicht Teil einer Bewegung. Dazu bewegt sie sich zu weit weg von der Lebensrealität von jungen Menschen. Mich stören die fehlende Abgrenzung durch Worte und Taten zu Rechtsextremismus, Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. Außerdem verstehe ich nicht, wieso Putins Angriffskrieg in der Ukraine nicht als solcher begriffen wird.

Mole (weiß, cis weiblich, 22):
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/antimilitaristisch?
Ich finde es schockierend, wie die Gesellschaft die zunehmende Militarisierung und die daraus resultierende Ressourcenverschwendung einfach hinnimmt. Da möchte ich kein Teil von sein.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Für mich ist das eher eine Friedenserstarrung. Junge Leute, die sich engagieren wollen und neue Ideen werden häufig grundsätzlich abgelehnt. Es gibt regelmäßig klare Hierarchien, die sich nur schwer aufbrechen lassen, gegen sexistische Strukturen wird wenig bis gar nichts gemacht und antisemitische Weltbilder werden akzeptiert oder sogar gut geheißen. Außerdem haben viele Menschen in der Friedensbewegung eine verzerrte Realitätswahrnehmung und werden immer anfälliger für Verschwörungstheorien und offener gegenüber Schwurbern und Rechten. Meiner Meinung nach sollte eine Friedensbewegung ganz klar antifaschistisch sein und sich gegen jede Form der Diskriminierung stellen und sich davon abgrenzen.

Anarch (weißer cis-Dude, 24):
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/ antimilitaristisch?
Ich wurde antifaschistisch politisiert, vor allem im Kontext der vermehrten Hetze gegen und Jagd auf Geflüchtete ab 2015 durch Pegida, AfD und Co. Der EU-Türkei-Deal verdeutlichte mir, dass es beim Einsatz der Bundeswehr in Syrien nicht um den Schutz der syrischen Zivilbevölkerung geht. Mir fiel außerdem auf, dass das Thema Antimilitarismus in der Öffentlichkeit relativ tot ist. Als populäre Akteur*innen zum Thema fand ich vor allem „Rheinmetall entwaffnen“ (die auch gerne mal antisemitische Terrorist*innen wie Leila Khaled als Widerstandskämpfer*innen feiern). (Beleg: Instagram Rheinmetall entwaffnen, im Internet einsehbar unter: https://www.instagram.com/p/CYL0DcUqQcZ/) und die DFG-VK (eine Organisation voller oberlehrerhafter alter Männer, die selber völlig realitätsferne Positionen wie „Mit dem IS verhandeln!“ vertreten). In etwa zur selben Zeit fing die Bundeswehr an, Außenwerbung zu machen. Ich fand Leute mit sinnvollen politischen Positionen, die das Militär mit lustig-ironisch veränderter Werbung angriffen. Mich freute es sehr, dass es auch vernünftige Leute gibt, mit denen man antimilitaristische Arbeit machen kann.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Die völlig realitätsfernen und dogmatischen Positionen mit null Bereitschaft zum kritischen Denken. Sobald jemand „verhandeln“ sagt, finden das alle ganz klug und toll. Auf welcher Grundlage genau man mit fundamentalistischen Massenmördern wie dem IS oder der Hamas verhandeln können soll, darauf hat aber eigentlich niemand eine Antwort. Auch dazu, wie Verhandlungen mit Russland aussehen sollen, wenn Russland unbeirrt die Aufgabe der Ukraine großer Teile ihres Landes zur Verhandlungsbedingung macht, hat niemand etwas Kluges zu sagen.

Regelmäßig stellt sich die Friedensbewegung so auf die Seite der Täter. Dann werden der Ukraine Vorwürfe gemacht, dass sie nicht verhandlungsbereit sei, weil sie den russischen Forderungen nach de facto Kapitulation nicht nachkommen möchte. Im Kontext des Nahostkonflikts kommt noch der in der Friedensbewegung allgegenwärtige Antisemitismus dazu. Israel ist dann das ultimative Feindbild und wird alleine verantwortlich für die Kriege in Nahost gemacht.

Beppo (weiß, cis weiblich, 30):
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/antimilitaristisch?
Mich erschreckt, dass Menschen immer wieder finden, dass Militarismus und Kriege führen super Optionen seien. Gerade wer in einem Land aufwächst, das verantwortlich ist für zwei Weltkriege, sollte sich für Abrüstung einsetzen.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Ehrlich gesagt, habe ich mich sehr lange nicht als zur Friedensbewegung dazugehörig gefühlt. Ich hatte zwar schon Waffenfabriken blockiert, den Tag der Bundeswehr gestört oder gegen Atomwaffen demonstriert, also lauter friedenspolitische Themen, aber, dass ich zu einer Friedensbewegung zähle, hab‘ ich nicht gesehen. Auf Camps, auf denen ich war, wurde auch schon ungefähr zwei- drei Mal „DIE Friedensbewegung“ neu gegründet. Daran sieht man, wie wenig präsent es bei jüngeren Leuten ist, dass es tatsächlich noch einen Teil „alter“ Friedensbewegung gibt. Was ich aber später auch immer wieder gehört habe ist, dass auch junge Menschen sich zwar gerne gegen Waffen/ Krieg/ Militarismus einsetzen würden, aber dann von den Verschwörungstheorien, die teilweise auf Veranstaltungen verbreitet werden (auch wenn es nur einzelne Personen sein mögen), abgeschreckt werden. Anscheinend ist es für viele sehr schwer, eine anschlussfähige Gruppe zu finden.

Ein kleines Beispiel: Warum fordern immer wieder Menschen auf Anti-Atombomben-Camps den Abzug der AMERIKANISCHEN Atomwaffen? Statt die Vernichtung von Atomwaffen generell? Klar – ich kann verstehen, dass es irgendwie absurd ist, dass in Deutschland Waffen gelagert werden, deren Einsatz von Donald Trump befohlen werden kann, aber das Problem ist doch, dass es sie generell gibt und nicht in welchem Land sie gelagert werden oder wer den Befehl zum Einsatz geben darf.

Provo (weiß, cis-Dude, 39):
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/ antimilitaristisch?
Befehl und Gehorsam stehen einem selbstbestimmten Individuum in einer freien Gesellschaft elementar entgegen. Das hab‘ ich schon als 14-jähriger verstanden.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Überall wütende toxische Männer mit Brett vorm Kopf und einem Ego, das in keinerlei Verhältnis zu ihren Fähigkeiten steht. Der allgegenwärtige Antisemitismus. Dass die meisten Leute da irgendwann in den 80igern sich zum letzten Mal ein inhaltliches Update gezogen haben und Sexismus und Rassismus voll egal bis gut finden.

Dingens (weiß, cis-Dude, 34):
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/antimilitaristisch?
Das Krieg scheiße ist, ist, denke ich, jedem klar. Außer natürlich den Leuten, die davon profitieren. Ich war schon immer gegen Krieg und gegen Hass. Wahrscheinlich, weil ich in jungen Jahren viel Hass abbekommen habe. Daher engagiere ich mich schon lange antifaschistisch. Irgendwann bin ich auf eine junge antimilitaristische Gruppe gestoßen, deren Aktionen ich sehr spannend fand.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Es ist für mich völlig unverständlich, dass es für viele Teile der Friedensbewegung völlig okay ist, Nazis mit ins Boot zu holen. Ebenso gibt es viel zu viele Verschwörungstheoretiker in den Reihen der Friedensbewegung. Daher habe ich mich auch lange Zeit überhaupt nicht mit dieser Bewegung identifizieren können.

Grokenberger (weiß, cis-Dude, 23)
Warum engagierst du dich friedenspolitisch/ antimilitaristisch?
Weil ich es einfach nicht fassen kann, dass im Zweifelsfall alle zivilen Rechte nichts mehr gelten und ich nicht nur gezwungen würde mich verletzen oder töten zu lassen, sondern auch andere zu töten.

Was findest Du doof an der Friedensbewegung?
Dass zu viele Leute die Forderungen nach Frieden und gegen Militarismus mit Aufforderungen zum Aufgeben verwechseln oder absichtlich gleichsetzen, weil sie die in Aussicht gestellte Fremdherrschaft heimlich geil finden.

ctx (weiß, cis-Dude, 22)
Warum organisierst du dich antimilitaristisch?
Frei nach Marlene Dietrich: „Aus Anstand“ natürlich. Außerdem ist Pazifismus die wesentlich ressourcenschonendere Option. Bomben und Raketen sind unpraktisch, die können wir alle einschmelzen und Gleise und Züge draus machen. Wer will schon im Panzer an die Front fahren, wenn’s auch mit dem ICE in den Urlaub gehen kann?

Was findest du doof in der Friedensbewegung?
Wenn die Friedensbewegung auf die Straße geht, vergessen viele leider ihre Hausaufgaben bei der Wahl ihrer Mitstreiter*innen. Mit Nazis geht man nicht spazieren! – Dieser simple Merksatz scheint für große Teile der sogenannten „Friedensbewegung“ in etwa so kompliziert wie höhere Mathematik zu sein. Wer mit Reichsbürgern und Verschwörungsideologen gemeinsame Sache macht, und dann behaupten, das sei ja „für den Frieden“ und „den Leuten kann man nicht in den Kopf schauen“, hat nun wirklich den Schuss nicht gehört.

Mehr tun?
Wir haben auch gefragt, was uns bewegen könnte, mehr zu tun. Einige haben gesagt, dass sie schon so viel tun, wie sie leisten können. Zwei meinten, dass der Zustand der „Friedensbewegung“ sie eher dazu bringe, keine Lust haben, sich mehr zu engagieren. Und drei benannten, was ihnen fehlt. Dazu ein Zitat: „Neben abstrakten Forderungen mehr konkrete Aktionen, die wirklich Druck aufbauen und Lösungen aufzeigen können. Zum Beispiel statt nur nach Verhandlungen zu rufen, russische Antimilitarist*innen unterstützen. Sich für Frieden einzusetzen, sollte nicht nur bedeuten, die eigenen Privilegien vor Krieg zu schützen, sondern auch die Frage stellen, in welcher Art von Frieden wir und andere Menschen leben wollen.“

Warum Pseudonyme?
Pseudonyme schützen gegen die Repressionsversuche des Staates. Mit zwei unserer Aktionen gegen den russischen Angriffskrieg haben wir es letztes Jahr in den Verfassungsschutzbericht geschafft. Als Jan*a Hansen konnte jede*r von uns Presseinterviews geben ohne den eigenen Namen zur Marke zu machen. Wir konnten mit kreativen Aktionen den Geheimdienst öffentlich der Lächerlichkeit preisgeben. Das ist sowas wie gelebter Anarchismus.
Lasst euch von den Alteingesessenen nicht von oben herab belehren. Sie haben mindestens genauso viel von euch zu lernen, wie ihr von ihnen. Jeder, der den Normalbetrieb der voranschreitenden Aufrüstung und Militarisierung stört, leistet ungemein wichtige Arbeit. Wenn es eine Aktionsidee gibt, die euch fasziniert, dann ist das schon mal ein super Anfang. Eine Portion Mut und etwas Rebellentum sind eine gute Zutat für einen erfrischend, jungen Cocktail den wir in der Friedensbewegung brauchen.

Mehr Infos zur Arbeit der Antimilitaristischen Aktion Berlin: amab.blackblogs.org

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