Bericht vom Rheinmetall Entwaffnen Camp


Vom 1. bis zum 9. September fand in Unterlüß, einem kleinen Ort zwischen Hannover und Celle, zum zweiten Mal das Rheinmetall-Entwaffnen-Camp statt. Warum grad da? Der größte deutsche Rüstungsproduzent, die Rheinmetall AG, hat dort sowohl die Hauptverwaltung der Rüstungssparte als auch ein Werk. In dem beschaulichen Ort in Niedersachsen wird also das weltweite Morden, Krieg, Vertreibung und Flucht vorbereitet. Genau der richtige Ort für ein antimilitaristisches War-Starts-Here-Camp also!

Das Camp wurde mitten im Ort aufgeschlagen. Die Waffenfabrik lag nur wenige Gehminuten entfernt, und auch das Testgelände, auf dem Rheinmetall seine tödlichen „Produkte“ ausprobiert, konnte man das ein oder andere Mal hören. Über den gesamten Zeitraum gab es Workshops, Vorträge, Aktionen, Platz für Vernetzung (auch international, es waren Menschen aus Südafrika und Sardinien angereist, denn auch dort produziert Rheinmetall Krieg) und FLINT-Spaces.
Die AMAB war auch dabei. Hier wollen wir euch versuchen einen kleinen Einblick in das zu geben was sich in diesen neun Tagen so alles ereignet hat und was das bei uns für Eindrücke und Emotionen ausgelöst hat. Das Ganze natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Das Camp startete am 1. September, dem Anti-Kriegs-Tag. Das Datum ist bewusst gewählt. Am 1. September 1939 überfiel das faschistische Deutschland Polen. Und auch im Camp wurde den Opfern des Faschismus gedacht: Menschen die schon zum ersten Tag angereist, waren luden die Bewohner*innen des Ortes ein, um gemeinsam über Krieg, Militär und Rüstung sowie natürlich die Rolle von Rheinmetall im Ort zu reden.

Am Montag und Dienstag fanden verschiedene Workshops und Vorträge statt. Unter anderem wurde die kurdische Berfreiungsbewegung sowie die Revolution in Nordost-Syrien, die Rolle von Rüstung und Militär in der Region, Militär als Ausdruck des Patriarchats und Internationalismus thematisiert.

Am Mittwoch den 4. September wurde morgens im Plenum eine Aktion vorgeschlagen. Nach kurzer Abwägung fanden sich einige Menschen im Soli-Bus ein um einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Wohin? Na in den Nachbarort natürlich, denn dort wohnt Armin Papperger. Er ist Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall AG sowie Präsident des „Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ kurz BDSV. Seit einigen Monaten wird von Antimilitarist*innen mit Stickern nach ihm gefahndet („Gesucht wegen Kriegsverbrechen – Armin Papperger“). Und nun endlich sollte er an seiner Privatadresse zur Rede gestellt werden. Vor seinem Haus wurden Redebeiträge gehalten und Parolen gerufen. Leider war Herr Papperger nicht zuhause. Aber einige Nachbar*innen beobachteten das Spektakel und stellten ihn später hoffentlich zur Rede. Deutlich gemacht werden sollte durch die Aktion dass in diesem kleinen Örtchen in der beschaulichen Heide eine Person wohnt, die ihren Reichtum durch den verantwortungslosen Export von Mordinstrumenten erwirtschaftet.

Der Donnerstagmorgen begann bei uns kältebedingt sehr früh. Die für Anfang September eisigen Temperaturen sorgten dafür dass einige von uns schon um Acht morgens an der Spülstraße standen und fleißig Geschirr gespült haben. Nach reichlich Kaffee und leckerem veganen Frühstück wollten wir eigentlich Siebdrucken. Doch daraus wurde nichts. Gegen Elf verbreitete sich die Nachricht das bereits Blockaden an strategisch wichtigen Punkten stehen. Die angekündigte Blockade sollte am Freitag stattfinden. Umso mehr freuten wir uns dass es Kleingruppen gelungen war ein Tripod auf der Hauptversorgungsstraße zum Werk zu errichten. Einige Aktivistis hatten sich an das Tripod gekettet, andere hingen in einem Strommast neben der Straße. Und auch auf einem befestigten Waldweg, den die Rheinmetall-Arbeiter*innen gerne nutzen, wurde mit Hilfe von Lock-Ons stabil blockiert.
In kleinen Gruppen strömten wir also zu den Blockadepunkten um zu unterstützen und weitere Punkte zu blockieren. Es wurden Barrikaden auf den Waldwegen die sich um das Werk befinden errichtet (im Abschlussplenum am Samstag hieß es dazu das ein oder andere Mal: „Ich hab mich gefühlt wie im Hambi!“) und Essen und warme Getränke an die Blockierenden verteilt. Auch dem NDR, der unsere Proteste und Aktionen sonst total ignorierte, war dies eine Berichterstattung wert.

Um 15 Uhr startete vom Camp aus noch eine weitere Aktion zum Gedenken an die im NS von Rheinmetall eingesetzten Zwangsarbeiter*innen. Die Rheinmetall AG stattete mit ihren „Produkten“ den deutschen Faschismus aus und beteiligte sich so aktiv an der Shoa, dem verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte und dem Mord an Sinti, Roma, LGBTQs, Andersdenkenden, Menschen mit Behinderung etc. Für die Produktion des von den Nazis benötigten Kriegsgeräts setzte Rheinmetall Zwangsarbeiter*innen ein. Um den Opfern des mörderischen Zusammenschlusses von Rheinmetall mit den Nazis zu gedenken wurden auf dem „Weg der Erinnerung“ Baumbinden und Transparente angebracht. Diese Baumbinden wurden schon weniger als einen Tag später zerstört, weil für einige Menschen in der Region das Erinnern an die Opfer des Deutschen Faschismus anscheinend nicht auszuhalten war.

Gegen Donnerstagabend fanden wir uns dann alle zum großen Aktionsplenum zusammen. Schon über den Tag hatten Aktionstrainings stattgefunden um die Wichtigkeit von Bezugsgruppen und schneller Konsensfindung zu besprechen sowie die geplante Aktion im Kleinen zu üben. Am Abend wurde dann auch die große Fingeraufstellung geprobt.

Am Freitagmorgen (oder sollten wir sagen Freitagnacht?) um 4:45 Uhr stellten wir uns dann in unseren Fingern auf. Durch die Dunkelheit liefen wir vorerst ungestört Richtung Wald. Bei einer kleinen Weggabelung warteten dann aber doch die Bullen auf uns. Obwohl sie uns kurzeitig den Weg versperren konnten bahnten wir uns dann den Weg durchs Unterholz – in Richtung Rheinmetall-Werk.
Relativ easy konnten wir unser Ziel erreichen. Wir waren im pinken Finger und setzten uns zur Tripod-Blockade an der Hauptstraße. Der Schichtwechsel sollte um 5:30 Uhr stattfinden, doch daraus wurde nix. In der Morgendämmerung machten wir es uns auf der Hauptstraße gemütlich, lauschten Redebeiträgen und freuten uns über die guten Nachrichten der anderen Finger die allesamt ihre Blockadepunkte erreichten.
Als immer mehr Arbeiter*innen zum Werk wollten wurde die Situation etwas dynamischer. Wir bildeten Ketten sodass die Arbeiter*innen auch nicht zu Fuß die Produktionsstätte von Krieg und Vertreibung erreichen konnten. Die Cops versuchten einige über Bahngleise zum Werk zu bringen, doch auch die Gleise wurden schnell blockiert. Umso heller es wurde umso mehr gute Nachrichten erreichten uns von den anderen Fingern. Zu dem immer noch stehenden Tripod kamen im Laufe des Tages noch einige dazu.
Und auch die Person im Strommast hielt noch tapfer durch. Nach genau 24 Stunden seilten sich die Kletter-Aktivistis dann ab und konnten zum Glück ohne Personalienangabe gehen. Wir blieben noch bis 16:30 Uhr um einen etwaigen weiteren Schichtwechsel abzuwarten, doch in Richtung Werk zu fahren hatte zu dem Zeitpunkt wohl niemand in der Belegschaft mehr vor. Wir setzten uns also nach über 10 Stunden erfolgreicher Massenblockade in Bewegung Richtung Camp. Dort wurde erstmal geduscht und angestoßen (oder war es doch andersherum?). Den Tag ließen wir mit Livemusik ausklingen und legten uns irgendwann erschöpft aber zufrieden in unsere Zelte.

Der Samstag startete leider mit einer schlechten Nachricht. Ein am Rande des Camps stehendes Auto wurde in der Nacht mutwillig beschädigt. Für Menschen in der Region waren wir also ein Dorn im Auge. Trotz der beschissenen Aktion zeigte diese Attacke allerdings das wir wirkungsvoll sind und die in der Region Unterlüß lebenden Menschen mit unserer Kritik konfrontieren konnten.

Um unsere Kritik nochmal richtig deutlich zu machen startete mittags am Bahnhof Unterlüß die große Demo, zu der bundesweit Gruppen mobilisiert haben. Wir bekamen also Unterstützung und zogen mit gut 600 Leuten durch den Ort. Einige versuchten mit den Anwohner*innen ins Gespräch zu kommen oder warfen Briefe in die Briefkästen entlang der Route. Auf der Demo wurde sich besonders für die sogenannte Konversion, also weg von totbringedem Kriegsgerät hin zu ziviler Produktion, stark gemacht.
Die Demo wurde angeführt von einem FLINT-Block (also einem Block von Frauen*,Lesben, Inter-, Non-Binary- und Transpersonen). In Redebeiträgen wurde darauf eingegangen wie besonders FLINT-Personen unter Krieg leiden und was Rüstung und Militär mit dem (kapitalistischen) Patriarchat zu tun hat.
Als wir das Verwaltungsgebäude von Rheinmetall erreichten wurden Schuhüberzieher verteilt um auf dem Boden blutrote Fußabdrücke zu hinterlassen. Wir machten uns wieder los in Richtung Camp doch hinterließen eine Markierung: Krieg beginnt hier!

Im Camp angekommen wurde ein bewegendes Grußwort von Esther Bejerano, einer Überlebenden des NS-Terrors, abgespielt. Dies zeigte uns nochmal dass wir an dem genau richtigen Ort sind und dass es an uns, einer kämpferischen Bewegung von unten, liegt der deutschen Kriegsproduktion und dem Faschismus das Handwerk zu legen. Das Grußwort könnt ihr euch hier anhören —> www.youtube.com/watch?v=3adqgQcWzHQ

Am Samstagabend kamen wir dann endlich zum Siebdrucken (Wir haben jetzt AMAB-Shirts!!!). Schnell gesellten sich mehr Leute zu uns und wir tauschten uns über die vergangenen Tage aus. Dieser Austausch ging im großen Rückblickplenum weiter, wir teilten unsere besten Erlebnisse, aber natürlich auch das was nicht so gut gelaufen ist. Nach einer Nachtwacheschicht setzten wir uns ans Lagerfeuer, lauschten Partisanenliedern und ließen die letzte Woche Revue passieren.

Sonntagmittag ging es dann voller Eindrücke, neuer Kontakte und viel Dazugelerntem mit dem Soli-Bus zurück nach Berlin.
Das Rheinmetall-Entwaffnen-Camp hat gezeigt dass es sehrwohl Menschen gibt die nicht einfach stillschweigend zuschauen wenn Krieg dort wo wir wohnen vorbereitet wird, sondern sich kämpferisch der Rüstungsproduktion entgegenstellen. Es hat gezeigt dass aktuell eine neue Anti-Kriegs-Bewegung entsteht die widerständig und wirkungsvoll ist. Mit unserer Blockade des Rheinmetall Werks haben wir nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern die Kriegsproduktion für fast zwei ganze Tage unterbrochen und gestört. Mit unserem Gedenken an die Opfer des Faschismus haben wir wichtige Erinnerungsarbeit geleistet. Wir haben ein ganz anderes Zusammenleben organisiert und damit eine ganz andere Welt geprobt in der Kriege und Militär nicht mehr nötig sind. Außerdem haben wir uns vernetzt, Wissen und Können geteilt und uns gegenseitig ermutigt weiterzukämpfen. Im nächsten Jahr sind wir dann hoffentlich mit doppelt so vielen Menschen am Start. Und auch in der Zwischenzeit gibt es genug Gelegenheiten sich widderzusehen oder neu dazuzustoßen, etwa bei der nächsten Hauptversammlung des Konzerns im Mai 2020.

Haltet die Ohren offen, vernetzt euch und werdet aktiv! Für eine Welt ohne Krieg, Kapital und Herrschaft!
Für die Freiheit, für das Leben – Rheinmetall das Handwerk legen!

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