Wir haben uns entschlossen, einen alten Text aus der Zivilcourage (1/2017) erneut zu veröffentlichen: „Kritische Bemerkungen einer jungen Frau in einer von alten Männern dominierten Organisation“ von Lena Sachs. Den Inhalt des Textes hat Lena auch als Festrede beim Geburtstags-Buko anlässlich der 125-Jahr-Feier der DFG-VK vorgetragen. Sie sagt und schreibt, dass ihr „sehr negativ“ aufgefallen sei, dass die DFG-VK sehr männerdominiert ist. Sie sagt, dies ein Grund dafür ist, warum sie trotz Mitgliedschaft Distanz zum Verband wahre und lieber anderweitig aktiv sei. Deshalb hat sie eine „formelle oder informelle Machtabgabe“ und Rücktritte derjenigen Typen gefordert, die schon Ewigkeiten Posten innehaben.
Die DFG-VK aus Frauensicht-
Kritische Bemerkungen einer jungen Frau in einer von alten Männern dominierten Organisation
Von Lena Sachs, ZivilCourage Nr. 1 – Februar/März 2017
So wie es viel über die lange Tradition der Frauenfriedensbewegung zu erzählen gäbe, habe ich, bis auf die Biografien und das Engagement von einzelnen herausragenden Pazifistinnen, kaum Literatur darüber gefunden, welchen Stellenwert Frauen in der Geschichte der Deutschen Friedensgesellschaft einnehmen oder eingenommen haben bzw. welchen Stellenwert die Thematik in der Organisation insgesamt hat. Anhand unterschiedlicher Quellen, in der das Thema meist nur in Nebensätzen auftaucht, habe ich versucht, mir ein Bild der Situation zu machen, und möchte gerne stellvertretend für all die tollen Frauen zunächst beispielhaft das Engagement von Frida Perlen innerhalb der DFG aufgreifen.
Die Gründung der DGF im Jahre 1892 die, wie wir wissen, auf die Initiative der Pazifistin und Frauenrechtlerin Bertha von Suttner zurückging, fand in einer Zeit statt, in der die erste bürgerliche Frauenbewegung für Gleichberechtigung und Stimmrecht auftrat. In einer Zeit, in der führende Pazifistinnen großen Wert auf organisatorische Selbstständigkeit legten und eigene auch pazifistische Frauenverbände gründeten.
Frida Perlen, die Gründerin des Frauenbunds der DFG
Zu dieser Zeit, im Jahr 1913, trat mit Frida Perlen eine radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin in die DFG ein. Bereits ein Jahr später gründete sie mit weiteren Mitstreiterinnen den Frauenbund der Deutschen Friedensgesellschaft, der auch von Bertha von Suttner unterstützt wurde. Auch von der DFG-Hauptversammlung wurde die Gründung des Frauenbundes begrüßt. Ziel des Frauenbundes der DFG war es zum Beginn und während des Ersten Weltkrieges insbesondere, die fortschrittlichen Frauen davon zu überzeugen, sich für eine Beendigung des Krieges sowie auch für das Frauenstimmrecht einzusetzen. Eine breite Mobilisierung blieb jedoch aus, da viele Frauenvereine der bürgerlichen Frauenbewegung sich vom Vaterlandsrausch mitreißen ließen und es als ihre Aufgabe sahen, ihre Männer im Krieg zu unterstützen. So blieben Pazifistinnen im Kontext der bürgerlichen Frauenbewegung isoliert.
Als Vorsitzende des Frauenbundes der DFG arbeitete Frida Perlen eng mit dem DFG-Vorstand zusammen, in dem auch sie einen Sitz hatte. Kurz darauf kam es zu unterschiedlichen Konflikten und Meinungsverschiedenheiten: Nachdem Perlen im Namen von Millionen deutscher Mütter bereits den Kaiser um die Erhaltung des Friedens gebeten hatte, richtete sie zu Beginn des Ersten Weltkrieges eine Petition an den Reichskanzler, sich weiterhin für Verständigung einzusetzen. Dies wurde vom Vorstand der DFG nicht unterstützt. Der Frauenbund kritisierte zudem die DFG in ihrer Bereitschaft, im sogenannten „Verteidigungskrieg“ humanitäre Hilfe zu leisten. Darüber hinaus wurde dem Frauenbund keine finanzielle Eigenständigkeit gewährt.
Ein Jahr später fand 1915 in Den Haag der erste Frauenfriedenskongress statt, der maßgeblich von Anita Augspurg und Lida Gustava initiiert wurde (beides sehr wichtige Frauen der Friedensbewegung, allerdings keine Mitglieder der DFG). Dem Frauenbund der DFG, der an dieser Konferenz teilnehmen wollte, wurde dann seitens des (bis auf Perlen) männlichen Vorstandes eine Teilnahme bzw. offizielle Vertretung untersagt. Frida Perlen ließ sich davon nicht beirren und half weiterhin bei den Vorbereitungen des Kongresses mit. Eine Ausreise nach Den Haag wurde ihr dann jedoch seitens der deutschen Behörden verwehrt.
Die benannten Aspekte haben dann zu einem Bruch mit der DFG geführt, und der Frauenbund ging in der Arbeit des auf dem Frauenfriedenskongress gegründeten „Internationalen Frauenkomitees für den Frieden“ auf, in dem auch Frida Perlen mitarbeitete, die eine Initiative in Stuttgart gründete und 1933, als das Komitee verboten wurde, ins Exil ging.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die DFG, die zunächst als unpolitischer Verein gegründet wurde, 1917 von der traditionellen Tabuisierung innenpolitischer Fragen abrückte und erst in diesem Zuge auch die politische Gleichberechtigung und das Frauenstimmrecht einforderte.
In diesem kleinen Einblick in die Anfangsjahre der DFG wird deutlich, dass das Engagement für Frauen innerhalb der DFG recht unattraktiv gewesen sein muss, da einerseits deren eigenständige Arbeit nicht wirklich unterstützt wurde und dem damals primären Interesse der Frauen, für Gleichberechtigung und Stimmrecht einzutreten, innerhalb der Organisation zunächst kein politisches Forum geboten wurde.
„Pazifistische Blutbäder“
Auch in der weiteren Zeit, während des Ersten Weltkrieges, in der Weimarer Republik, während des Nationalsozialismus sowie nach Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute gab es neben eigenständigen Frauenfriedensorganisationen auch herausragendes Engagement von Pazifistinnen innerhalb der Organisationen DFG, IdK und VK. Es wäre im Rahmen eines solchen Referats schön, das Engagement dieser Frauen sichtbar zu machen, aus Zeitgründen kann ich leider nicht näher auf die einzelnen Frauen eingehen.
Die Organisationen, die heute in der DFG-VK zusammengeschlossen sind, blieben dennoch weitgehend Männergesellschaften, in denen der Frauenanteil unter 10 Prozent blieb. Ein Grund war unter anderem natürlich auch, dass später insbesondere die Unterstützung von männlichen Kriegsdienstverweigerern ein zentrales Handlungsfeld war.
Zudem stellte sich beim Lesen und auch in Gesprächen, die ich geführt habe, die Geschichte der DFG bzw. der DFG-VK als sehr konfliktbehaftet dar – und der Umgang untereinander wird weitgehend als unschön beschrieben. Ossietzky sprach z.B. im Blick auf die jährlichen Pazifistenkongresse „von einem ungeheurem Blutbad, einer massenweisen Absäbelung von Führerköpfen.“ Ich kann mir vorstellen, dass die Beteiligung unter den Machos damals für Frauen durchaus unattraktiv war, und dass sie es vorzogen, sich in eigenständigen Organisationen zu engagieren.
Ich hab dann bei meiner Recherche den Eindruck gewonnen, dass es bezüglich des Themas Frauen in der DFG-VK Ende der 1970er und im Zuge der 1980er Jahre eine positive Entwicklung gab. So ist der Anteil der Frauen bei den Neuzugängen von zuvor 6 auf 14 Prozent in den 1980er Jahren angestiegen. Es gründeten sich Gruppen zu „Frauen und Militär“ innerhalb der DFG sowie ein Frauenreferat, das sich mit der Beratung von Frauen und Müttern in Bezug auf Kriegsdienstverweigerung beschäftigte. 1989 wurde die DFG-VK in Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen umbenannt, und in diesem Jahr wurde auch zum ersten Mal eine Frau zur Vorsitzenden gewählt.
Die Entwicklung des Anteils von Frauen an der Mitgliedschaft
In der Gegenwart angelangt möchte ich mit einer kleinen Bestandsaufnahme beginnen und im Anschluss daran ein paar persönliche Eindrücke schildern. Zunächst möchte ich gerne einen Blick auf den Frauenanteil unter den Mitgliedern werfen. Dieser liegt derzeit bei 15 Prozent. Wenn man das mit anderen Institutionen vergleicht, schneidet die DFG-VK eher schlecht ab. Zwar haben wir einen höheren Frauenanteil als die Bundeswehr mit 12 Prozent, allerdings haben selbst die SPD sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Frauenanteil von über 30 Prozent.
Auch in den Vorstandstrukturen zeigt sich das ungleiche Verhältnis: Die politische Geschäftsführung ist männlich besetzt, unter den acht Mitgliedern im BundessprecherInnenkreis ist ein weibliches Mitglied.
Wenn man sich den Frauenanteil nach Altersgruppen anschaut, zeigt sich, dass es unter den jüngeren Mitgliedern schon etwas besser aussieht. Während bei den 35- bis über 65-Jährigen, die einen Großteil der Mitglieder ausmachen, lediglich 15 Prozent Frauen sind, sind es bei den bis 55-Jährigen bereits 28 Prozent. Hier zeichnet sich also ein positiver Trend ab.
Betrachtet man die Neuzugänge nach Geschlecht im Vergleich der letzten 50 Jahre, zeigt sich eine erfreuliche Entwicklung: Der Neuzugang von Frauen lag in den letzten 10 Jahren bei 53 Prozent und ist damit im Vergleich zu den Vorjahren sehr deutlich angestiegen.
Platz für Neue und Neues schaffen
Nun noch ein paar kritische Worte zu meinen eigenen Erfahrungen.
Mir persönlich ist es in Zusammenhängen der sogenannten Friedensbewegung, seit ich damit in Berührung gekommen bin, sehr negativ aufgefallen, dass diese, und hier spreche ich jetzt nicht ausschließlich von der DFG-VK, tatsächlich sehr männerdominiert ist. Was mich mit am meisten stört, ist das oftmals unreflektierte Redeverhalten der zumeist älteren männlichen Mitstreiter, das ich als sehr dominant und raumeinnehmend empfinde, sowie starke informelle Hierarchien.
Ich wurde von anderen Antimilitaristinnen auch schon kritisch gefragt, warum ich denn immer noch Mitglied bei den grauen Herren sei, und habe, ehrlich gesagt, auch nicht wirklich eine Antwort darauf gewusst. Ich glaube, dass meine beschriebenen Erfahrungen ein Grund dafür sind, warum ich, trotz meiner Mitgliedschaft, Distanz zum Verband wahre und dann doch lieber anderweitig aktiv bin.
In eher informellen antimilitaristischen Zusammenschlüssen, die insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragen werden, erlebe ich Frauen als in gleichem Maße engagiert und das Miteinander viel mehr auf einer Augenhöhe als in den großen verstaubten Friedensorganisationen – was deutlich macht, dass der geringe Frauenanteil nicht daran liegt, dass Frauen weniger Interesse für die Thematik mit sich bringen, sondern dass die Barrieren in der Organisation selbst zu suchen sind.
Diese Herausforderung stellt sich natürlich nicht nur der DFG-VK und der Friedensbewegung, sondern auch anderen formellen und hierarchisierten Verbänden, in denen sich gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse manifestieren.
Bei aller Kritik möchte ich betonen, dass ich es als sehr positiv wahrnehme, dass innerhalb der DFG-VK, auch seitens männlicher Mitglieder, ein Bewusstsein für die Geschlechterthematik vorhanden ist, dass häufig zumindest versucht wird, bei Veranstaltungen auch Rednerinnen zu finden, dass die ZivilCourage das Thema im letzten Jahr aufgegriffen hat und dass es auch heute zum 125-er Jubiläum auf der Tagesordnung steht.
Und diese Bereitschaft seitens der Organisation, die vielen tollen Frauen die in der DFG-VK engagiert sind, der positive Trend, was die Neuzugänge angeht, sehe ich als hervorragende Voraussetzung dafür, dass wir beim 150. Geburtstag einen Frauenanteil von 50 Prozent unter den Mitgliedern sowie auf Vorstands- und Sprecher/innen-Ebene feiern könnten.
Ja, die große Preisfrage: Wie kommen wir dorthin? Patentlösungen kann ich jetzt leider nicht geben. Ich finde es aber sehr wichtig, sich dahingehend ernsthaft Gedanken zu machen und an dem Thema dranzubleiben, sich als Organisation aber auch als Einzelperson diesbezüglich kritisch zu hinterfragen. Zu überlegen, wie wir Frauen, aber auch jüngere Menschen erreichen und als Mitglieder dazu ermutigen können, Ämter innerhalb der Organisation einzunehmen.
Ich glaube, dass dies nicht ohne eine formelle oder informelle Machtabgabe von etablierten Mitgliedern funktionieren wird und unter Umständen für den einen oder anderen auch Rückzug bedeuten muss, um Platz für Neue und Neues zu machen.
Ich will bezüglich der Thematik noch betonen, dass ich es dabei enorm wichtig finde, nicht in den altbekannten Mythos von der friedliebenden Frau zu verfallen und somit Geschlechterstereotype zu reproduzieren – sondern dass wir Frauen auch als Kriegstreiberinnen und Täterinnen kritisieren, als Opfer schützen und als Friedensstifterinnen und Revolutionärinnen würdigen müssen.
Damalige Autor*innenbeschreibung von 2017:
Die Erziehungswissenschaftlerin Lena Sachs ist DFG-VK-Mitglied und lebt in Freiburg im Breisgau. Unter dem Titel „DFG aus Frauensicht – gestern, heute und morgen“ referierte sie auf dem Neujahrstreffen des DFG-VK-Landesverbandes Baden-Württemberg am 14. Januar im Theaterhaus Stuttgart.