Öffentlichkeit wirkt: Geheimdienst streicht Antimilitaristische Aktion Berlin aus Verfassungsschutzbericht

Warum beobachtet der Geheimdienst Menschen, die sich gegen Putin und seinen Krieg in der Ukraine engagieren? Das musste der Geheinmdienst dank Protest vor dem Abgeordnetenhaus und nervigen Fragen im Geheimdienstausschuss von Niklas Schrader (Linke) und June Tomiak (Grüne) immer wieder erklären: Das war dem Geheimdienst jetzt zu doof: Aus dem aktuell veröffentlichten „Verfassungsschutzbericht“ für das Jahr 2023 haben sie die Antimilitaristische Aktion Berlin einfach gestrichen. Dabei will die Gruppe am 3. Oktober gleich wieder Leichensäcke an der russischen Botschaft verteilen. „Gegen Geheimdienste gib es ein einfaches Mittel: Öffentlichkeit!“ so Jan Hansen, Sprecher:in der Gruppe. „Hoffentlich hat Geheimdienstboss Fischer jetzt Zeit, mal endlich nach Nazipreppern in den eigenen Reihen zu suchen.“

Was ist der VS-Bericht?
Der Geheimdienst schreibt jedes Jahr im Sommer einen für die Öffentlichkeit bestimmten „Verfassungsschutzbericht“. In dem Bericht schreiben die Geheimen dann, wen oder was sie für eine Gefahr für die Demokratie halten. Das hat für die Betroffenen keine direkten Folgen, aber wer darin steht, darf mit Kontokündigungen, Rauswürfen bei der Arbeit, Fördergeldkürzungen und willkürlichen Strafverfahren rechnen: Gegen Terror und Extremismus ist in der Wehrhaften Demokratie schließlich erlaubt. Was in den Berichten natürlich nie vorkommt: Naziprepper und Putintollfinder aus den eigenen Reihen. Tatsächlich machte der Berliner Verfassungsschutz 2021 damit Schlagzeilen, dass eine Mitarbeiter*in Geheimdienstinterna an die AfD durchsteckte. Konsequenzen hatte das natürlich keine.

Aktionen gegen den russischen Angriffskrieg eine Gefahr für die Demokratie?
Mit dem letztjährigen sogenannten „Verfassungsschutzbericht“ hatte sich der Berliner Geheimdienst „Landesamt für Verfassungsschutz“ und sein Chef Herr Fischer ganz schön in die Nesseln gesetzt. Was die jährlichen Verfassungsschutzberichte zuverlässig zeigen, ist die Ahnungslosigkeit und Inkompetenz des aufgeblähten Personalapparates der Überwachungs- und Unterdrückungsbehörde. Denn statt irgendwelche „Erkenntnisse“ zu teilen, besuchte ein putin-tollfindener Geheimdienstmitarbeiter einfach im Internet die linke offenen Veröffentlichungsplattform „Indymedia“ und schrieb oberflächlich ab.

Pipeline sägen und Leichensäcke
Bei seiner „Recherche“ ärgert sich unser Naziprepper ausgerechnet über zwei Aktionen der Antimilitaristischen Aktion Berlin. Am 1. März 2022 veranstaltete die Antimilitaristische Aktion ein symbolisches Pipeline-Sägen vor der GAZPROM-Zentrale und forderte mit dieser angemeldeten Kundgebung den Ausbau erneuerbarer Energien.

Leichensack vor der russischen Botschaft in Berlin

Am 1. Oktober 2022 verteilte die Antimilitaristische Aktion aus schwarzen Müllsäcken selbst gebastelte symbolische Leichensäcke rund um die russische Botschaft und das „russische Haus“ (eine hässliche Geheimdienst-Klitsche, die trotz Sanktionen immer noch nicht geschlossen ist).

Damit machte die Gruppe die Mitarbeitenden auf die Folgen des Krieges aufmerksam und forderte diese zur Verweigerung auf. Dass ausgerechnet diese Aktionen im „Verfassungsschutzbericht“ auftauchen sollten, ahnte damals keiner. Denn in den Augen von Herrn Fischers Geheimdienst sollen ausgerechnet diese mit der Außenpolitik der Bundesregierung vereinbaren Aktionen eine Gefahr für die Demokratie sein.

Kreative Aktionen gegen Überwachung
Doch die Antimilitaristische Aktion wäre nicht die Antimilitaristische Aktion, wenn sie sich das gefallen lassen hätte. Mit einer Kundgebung, einer Protest-Schild-Aktion und einem Schampus saufen im Bundestag protestierte die Gruppe gegen die putin-tollfindenen Nazi-Prepper im VS-Bericht. Die Abgeordneten Niklas Schrader (Linke) und June Tomiak (Grüne) griffen das Thema auf. Eine parlamentarische Anfrage und zwei (!) Sitzungen des Geheimdienstausschusses im Abgeordnetenhaus waren die Folge.

Geheimdienst hat keine Erkenntnisse
Geheimdienst-Boss Fischer und Staatssekretär Hochgrebe mussten sich öffentlich rechtfertigen. Der Abgeordnete Schrader, der im ganz geheimen Geheimraum die ganz geheime Akten zu der ganz geheimen Sache einsah, deutete in der anschließenden Ausschusssitzung an, das die „Erkenntnisse“ ein Witz seien.

Er habe den Eindruck, das diese extra für die Akteneinsicht fabriziert worden seien. Ergebnis: Der Geheimdienst hat keine Erkenntnisse. Außer, dass die Antimilitaristische Aktion auf Indymedia schreibt, dass sie Putin und Krieg nicht mag.

Öffentlichkeit
Das Medieninteresse war zunächst recht hoch. Die taz, das nd, telepolis, und radio dreyecksland berichteten. Sogar Ronen Steinke, Edelfeder bei der Süddeutschen Zeitung

https://x.com/RonenSteinke/status/1675397579192803328

solidarisierte sich. Geheimdienst-Boss Fischer reagierte mit einer verleumderischen Medienstrategie. Er behauptete einfach wahrheitswidrig, der Geheimdienst habe ganz wichtige Erkenntnisse, die aber geheim seien. Und wer bei Indy veröffentliche, sei außerdem selber schuld und voll extremistisch.

Keine effektive Kontrolle
Diese Strategie ging leider auf: In Gesprächen mit mehreren Journalist:innen eher konservativer Medienhäuser stellte sich raus, das es nicht glauben können, dass die Nazi-Prepper im „Geheimdienst“ sich über putin-kritische Aktionen ärgern und Aktivist:innen einfach willkürlich abstrafen. Aus der Befürchtung, dass der Geheimdienst ja wirklich ganz schlimme „geheime Informationen“ über die Aktivist*innen haben könnte, unterblieb eine Berichterstattung. Hier half leider auch nicht, dass wir beim Schampus saufen alle unbehelligt den Bundestag betreten konnten (aber immerhin hatten wir Spaß!). „Dass der Verfassungsschutz mit dem Spiel durchkommt, sein Fehlverhalten unter Berufung auf angebliche geheime Informationen zu legitimieren, liegt auch daran, dass der Geheimdienst nicht oft genug den kritischen Blick der Öffentlichkeit erfährt“, findet Jan Hansen.

Fazit
Die ganz große mediale Katastrophe blieb Herrn Fischer leider erspart. Trotzdem scheint er sich an der Antimilitaristischen Aktion die Finger verbrannt zu haben. Denn neben den nicht vorhandenen Erkenntnissen zu Nazi-Preppern und Putin-Tollfinder:innen in den eigenen Reihen fehlt auch unser Eintrag im aktuellen Geheimdienst-Bericht. Das Vorgehen der Antimilitaristischen Aktion Berlin zeigt, dass man sich gegen den Geheimdienst erfolgreich zur Wehr setzen kann – und das, obwohl die „öffentliche Kontrolle“ des Geheimdienstes alles andere als gut funktioniert.

Viele Gruppen nähmen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht einfach hin, so Jan Hansen „Das ist schade, denn so etwas bietet immer eine super Gelegenheit, öffentlich Kritik zu üben und seine politischen Standpunkte und Forderungen nochmal zu unterstreichen. Lasst uns den Geheimdienst häufiger an die Öffentlichkeit zwingen!“

Denn: Öffentlichkeit wirkt. Nichts hassen Geheime mehr. Möge dieses Unentschieden Herrn Fischer und seinen russlandtollfindenen Nazipreppern unangenehm in Erinnerung bleiben.

Die Aktion mit dem Leichensäcken macht die Antimilitaristische Aktion Berlin übrigens gleich nochmal. Am 3.10. wollen wieder Teile der Friedensbewegung Putin-Propaganda machen. Zusammen mit der Friedensgesellschaft Berlin-Brandenburg (DFG-VK) wollen die jungen Aktivist*innen mit der Aktion „Pazifismus statt Putin-Propaganda!“ dagegen protestieren. Mit dabei: Jede Menge Leichensäcke für die russische Botschaft.

Mehr Infos:

„Keine überzeugenden Gründe für Überwachung!“ Bericht von der 2. Sitzung des Geheimdienstausschusses:
https://amab.blackblogs.org/2024/01/15/keine-ueberzeugenden-gruende-fuer-die-geheimdienst-beobachtung-der-antimilitaristischen-aktion-berlin/

Aktionsaufruf „Pazifismus statt Putin-Propaganda!“:
https://berlin.dfg-vk.de/pazifismus-statt-putin-propaganda-aktionsaufruf-3-10-2024/

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