Bericht zur Veranstaltung: Sudan – Krieg der Generäle, Gesellschaft des Protests

Sudan: Da werfen zwei verrückte Generäle Bomben aufeinander? Um die Debatte etwas fundierter führen zu können, hatte das U35-Netzwerk der DFG-VK zwei Aktivist*innen der Organisation Bana Group for Peace and Development zu einer Podiumsdiskussion nach Berlin eingeladen. Sie berichteten vom immer noch andauernden Krieg der Generäle und der Gesellschaft des Protests im Sudan. Sie kritisierten auch den Abzug der Vertreter*innen der westlichen Regierungen und der internationalen Hilfsorganisationen. Der Krieg im Land sei nun im Westen dem Vergessen preisgegeben. Ohne Zugang zu westlichen Öffentlichkeit gäbe es keine Hilfe und die Generäle könnten nach belieben eskalieren und massakern. Deshalb appelierten sie an das Publikum und betonten, dass Solidaritätsaktionen sehr wichtig seien.

Bana und der Aufstand

Die Bana Group for Peace And Development ist eine Gruppe von Menschenrechtsverteidigerinnen aus dem gesamten Sudan, die seit 2017 über ethnische und regionale Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Dabei setzen sie sich für die Rechte von marginalsierten Menschen, insbesondere mehrfach marginalisierten Frauen, ein. Da viel zu wenige in Deutschland wissen was bisher passiert ist, fing die Veranstaltung mit Berichten von den Protesten von 2018/19 gegen die damalige Militärdiktatur Präsident al-Baschirs und die daraus resultierende Revolution an. Die Referent*innen zeigten Bilder aus der Hauptstadt, wo hundertausende mit recht friedlichen Sitzblockaden tagelang Druck auf die Generalität machten. Die Referent*innen betonten außerdem die bedeutende Rolle von Frauen während der Proteste 2018/19. Auch im politischen Einsatz für eine zivile Regierung seitdem spielen Frauen eine zentrale Rolle.

Putsch und Krieg

Nach monatelangen Protesten putschte ein Militärrat im April 2019 unter den beiden Generälen Abdel Fattah al-Burhan und Mohamed Hamdan Dagalo (besser bekannt als „Hemedti“) den Präsidenten (und Bin-Laden-Kumpel) al-Baschir. Sudanes*innen protestierten weiterhin für die Einrichtung einer zivilen Regierung statt einer weiteren Militärregierung unter neuen Machthaber*innen. Am 3. Juni verübten die neuen Machthaber*innen ein Massaker an friedlichen Demonstrant*innen. Um den auch nach dem Massaker verhältnismäßig gewaltfreien Aufstand zu beenden, stimmten die Militärs im Juli letztendlich einer zivilen Übergangsregierung zu.

Im Oktober 2021 sollte eigentlich Frieden zwischen fast allen Milizen und eine neue Übergangsregierung auf dem Weg zu demokratischen Wahlen im Amt sein. Doch die Generäle sabotierten dies mit einem erneuten Putsch. Seitdem gab es zwischen den Rapid Support Forces (RSF) unter Hemedti und den Sudanesischen Streitkräften unter Abdel Fattah al-Burhan Streit darüber, ob die RSF in das Sudanesische Militär integriert werden sollen. Hemedti befürchtet dadurch den Verlust seiner Machtposition als Kommandeur. Der Machtkampf im Militär eskalierte vor sechs Wochen zu einem offenen Krieg. Daraufhin verließen sehr viele Regierungsvertreter*innen und die internationalen NGOs das Land. Der Krieg ging weiter, doch das internationale Interesse endete.

Was ist gewaltfrei?

Die beiden Referent*innen berichteten, dass es auch nach dem Massaker vom 3.6.2019 zunächst verhältnismäßig friedlich weiter gegangen sei. Obwohl die Regierenden alles taten, der zivilen Opposition den bewaffneten Kampf schmackhaft zu machen, orientierten die Aufständischen sowohl in der Provinz als auch in Khartum sich eher an Blockaden, Massenaktionen und Sabotage statt an militärischem Vorgehen.

Interessant waren dabei die Unterschiede zu unserem Vorgehen: Wir unterstützen mit der DFG-VK Kampagnen, die die Ausübung staatlicher Gewalt mit internationalen Polizeikräften fordern, fürchten hochtrabend aber um pazifistische Grundsätze, wenn ein paar Mülltonnen brennen, während die sudanesische Opposition brennende Barrikaden einsetzt (so echte; nicht so Möchtegern wie in der Rigaer Straße…), um den Bewegungsraum des Militärs einzuschränken und die Bevölkerung vor Übergriffen zu schützen.

Selbstorganisierte Erste-Hilfe-Zentren

Die Referent*innen erklärten auch, wie sie diese für uns ach so zivilisierten Friedensbewegten unvorstellbare Unterstützung und logistische Leistungen hinbekommen: Mit Basisdemokratie und dezentraler Organisation. Die beiden berichteten, dass ihre Organisation quer durchs Land medizinische Erste-Hilfe-Zentren dezentral organisiert betreibe. Damit hätten sie schon wegen COVID begonnen, aber nun, wo die Krankenhäuser gezielt beschossen und/oder von den Milizen und dem Militärs geplündert werden, seien diese noch wichtiger.

Unterstützung ist zwiespältig

Die Zentren bräuchten viel Unterstützung von außen, weil die westlichen Organisationen alle weg seien. Das würden sie nun versuchen, selbstorganisiert auf die Beine zu stellen. Dabei achten sie darauf, dass nicht an einer Stelle zu viel Unterstützung aus dem Westen landet, sondern dass diese überall ankommt. Damit möchten sie auch der korrumpierenden Wirkung vorbeugen.

Ausländische Interessen?

Überraschend ist auch, wie viele Interessenslagen sich im Sudan treffen:

  • Russland beutet die Goldminen aus, zahlt damit seinen Krieg in der Ukraine und lässt die Minen durch Wagner „schützen“. Wagner killte schon im Sudan, als die Bundeswehr noch nicht mal in Mali war. Darüber hinaus hätte Blutin da gerne auch so wie in Syrien Stützpunkte, gerne auch mit Iskanders.
  • Das können die USA na klar nicht zulassen. Das einzige Treffen russischer und amerikanischer Flugzeugträger*innen nach dem Kalten Krieg gab es angeblich vor ein paar Jahren in Port Sudan am Roten Meer (das ist mal Säbelrasseln…).
  • Und Frankreich lässt Uran für Kraftwerke und Waffen abbauen. Die Bundesregierung gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Verbündeten der jeweiligen Diktator*innen. Auch wenn die Bundesregierung gerade ihren Sudan-Beauftragten abgezogen hat, sorgte und kümmerten sich bundesdeutsche Regierungen seit mindestens 40 Jahren, lange bevor die EU und Frontex wichtig waren, rührend darum, dass die Streitkräfte mobil, betankt, mit Funktechnik ausgestattet und in Aufstandsbekämpfung ausgebildet wurden. Nicht für Freiheit und Demokratie, nein, na klar: zur Migrations“abwehr“. Und das na klar gerne auch mit militärischen Mitteln („Oh Deutschland, Du verlogenes Stück Scheiße!“).
  • Und irgendwer aus dem Westen war so klug, dem Militär Überwachungsschnickschnack wie Pegasus, Intellexa und Predator in die Hände zu drücken.
  • Außerdem mischen diverse arabische Staaten über die Muslimbrüderschaften mit.
  • Erdöl gibts seit 1999 auch, das meiste liegt zwar mittlerweile im Südsudan, doch die können das nur verticken, wenn sie es durch die Pipelines und Häfen des nördlichen Nachbarn schicken.
  • Darum kümmern sich chinesische Firmen, die auch die einzige Raffinerie (in beiden Ländern) betreiben..

Top-Themen

Spannend und neu für uns war, wie viele aktuelle Konfliktlagen sich im Sudan abbilden, ohne dass das die Friedensbewegung groß zur Kenntnis nimmt:

  • Die von den Milizen und Wagner aus dem Land geschmuggelten Ressourcen tragen zur Finanzierung des russischen Kriegs in der Ukraine bei
  • Die EU ist im Sudan sehr präsent zur Migrations“abwehr“ und nimmt bereits im Sudan flüchtenden Menschen die Möglichkeit, das Menschenrecht auf Asyl wahrzunehmen
  • Und für die Leute, die sich vor dem dritten Weltkrieg gruseln, hat das Land auch jede Menge Konfrontationen der Großmächte und Manöver zu bieten

Was können wir tun?

Die beiden Referent*innen stellten sehr deutlich klar, dass der Abzug der westlichen Botschaften und der internationalen Organisationen eine Katastrophe sei. Weil die weg sind, guckt keiner mehr hin, und die Generäle können machen, was sie wollen. Deswegen seien Solidaritäts-Aktion aller Art sehr wichtig. Denn die Leute müssen hingucken, Unterstützung einfordern, Hilfslieferungen durchsetzen…

Stichwort Hingucken:

Die Veranstaltung hatte in der Echtwelt 19 Teilnehmende, im Internet genau 10. Positiv: Darunter viele Leute, die wir noch nie gesehen hatten. Offensichtlich gibt es Leute, die das Thema interessiert, die wir in der DFG-VK bisher wenig erreichen. Wen wir hingegen kaum gesehen haben, waren die „üblichen Verdächtigen“ aus der Friedensbewegung und dem Antimilitarismus. Uns zeigt das im Negativen: Trotz der Top-Themen schaut nicht mal die Friedensbewegung hin. Und im Positiven: Wenn man Veranstaltungen macht, die nicht immer nur die „Üblichen Verdächtigen“ ansprechen, kommen auch neue Leute.

Mehr Infos über Bana Group for Peace and Development :
https://www.ziviler-friedensdienst.org/de/aktuelles/sudan-frauen-erheben-die-stimme

Wer sich aus erster Hand über die Aufständischen der Resistance-Committes informieren möchte:
https://resistancecommittee.com/

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