Wir sind in der UNO: Erster Schritt zum Weltfrieden?

Heute gehts endlich in die UNO und die Aufregung ist groß. Denn wir sind in Wien und wollen zu einem Treffen der Staaten, die den Atomwaffenverbotsvertrag unterschrieben haben. Wir fühlen uns wie beim Kostümfest, bekommen Wichtigmenschen-Badges, lernen, was Side-Events sind und singen mit dem Botschafter von Kiribati für den Weltfrieden.

Worum gehts?
Beim TPNW1MST (ohne coole Abkürzungen läuft hier gar nichts) sind vor allem die Staaten und Leute versammelt, die den Vertrag gut finden. Streitpunkte sind das Kleingedruckte: Bis wann sollen die Staaten Atomwaffen abschaffen? In fünf Jahren? Oder doch eher in 50? Betrifft das Verbot auch pseudo-zivile Atomschleudern wie in Lingen und Groningen? Sollen Verstöße strafbewehrt sein? Wer setzt das durch? Und gilt das auch für Forschungsinstitute und Firmen? Und wer macht die im Fall der Fälle platt? Über diese und ähnliche Sachen wird in diesem und den nächsten Treffen vor und hinter den Kulissen verhandelt werden.

Kostümfest
Doch zuallerst ist unser Besuch bei der UNO ein Kostümfest. Angeblich gäbe es einen ganz krassen Dresscode, und keine*r von uns weiß, ob unser Sammelsurium aus Sakkos, Kostümen, Hemden und Hosen aus der Altkleidersammlung und Umsonst-Läden dem strengen Blick der UNO gerecht wird. Außerdem verbreiten die Leute von ICAN per Chat Horrorstorys, dass man tagelang anstehen müsse, wenn man da nicht bereits mitten in der Nacht auftauche. Also auf zum Vienna International Center. Den Eingang kennen wir ja schon, schließlich sind wir gestern bereits zum verkehrten Eingang reingelatscht. Dort angekommen ist alles halb so wild. Um die 50 Leute sind vor uns und sowohl die Flughafen-Sicherheitskontrolle als auch die Registrierung gehen ruckzuck. Die UNO-Cops sind echt gut organisiert und mega flott.

Mit dem Badge vorm Springbrunnen
Ab jetzt sind wir wirklich wichtige Leute, die nicht nur coole Kostüme tragen, sondern auch echt wichtig aussehende Wichtigmenschen-Badges um den Hals haben. Leider sammelt die UNO diese am Ende der Konferenz wieder ein (bzw. zumindest die, derer sie habhaft werden kann, hehe). Wir stehen derweil am Springbrunnen vor den ganzen Fahnen. Auch wenn da grad Baustelle ist und die Fotos davon alle so semi geworden sind, fühlt man sich da echt wichtig. Und das kann einem schnell zu Kopf steigen: Kein Wunder, dass diverse Leute aus Deutschland, die hier sind, vor allem ihre Badges posten und betonen, was für ein welthistorischer Moment vor allem ihre eigene Anwesenheit ist (womit sich ja auch die Frage stellt, warum in der Friedensbewegung diese Selbstdarsteller*innen so gut ankommen).

Im Zickzack durchs Gebäude
Leider hat sich niemand rechtzeitig damit beschäftigt, wo wir hin müssen. Also irren wir planlos durch die Gebäude. War aber gar nicht schlecht: Wir haben alles gesehen. Aus den Büroetagen hat man einen super Blick über Wien. Verwirrt gucken und fragen führt schließlich auf die richtige Spur. Wären wir gleich zu Beginn unserer Suche ins richtige Gebäude gelaufen, hätten wir auch die Wegweiser gesehen, die uns ab jetzt zuverlässlich durch endlose Flure und Foyers geleiten. Dann eine Rolltreppe runter und Überraschung: Wir sind genau am selben Ort wie gestern im Austria-Center, nur die Zuwegung ist sicherer, cooler und komplizierter. Und wir durften heute den coolen Eingang für die coolen Kidz nehmen.

Ohne Kaffee zum Motivationsgottesdienst
Die nächste Überraschung: Frühstück kostet Geld (in den letzten Tagen wurden wir fürsorglich umsorgt, siehe die letzten Berichte). Der Kurs: Kaffee 3,90 und trotz des Herumirrens ist es erst 8.30 und noch über 90 Minuten bis Konferenzbeginn. Zum Glück kommt wer von uns später, wir halsen der Person munter Supermarkt-Bestellungen einschließlich fantasievoller Sonderwünsche fürs Mittagessen auf. Ab zum „NGO-ROOM“ (auch kein Kaffee) und dem „Campaigners-Meeting“. Was ein Euphemismus sein dürfte: Kaum jemand hier ist „Campaigner“, Champagner gibts auch nicht und die Leute von ICAN ziehen eher einen Motivationsgottesdienst ab, anstatt eines Briefings, was heute wichtig wird.

Wir und der Premier von Neuseeland
Kurz nach 10 geht’s los. Seine Exzellenz, Herr Kmentt, der Botschafter der Austria (nur dezente Ironie, die ganz wichtigen Leute tragen wirklich diesen Titel und lassen sich so anreden), lässt sich mangels Gegenvorschlag zum Vorsitzenden wählen und moderiert locker durch den Vormittag. Auch die Tagesordnung ist ruckzuck beschlossen („I see no obligations“). Dann kommen Grußworte richtig wichtiger Leute, während sich immer mehr wichtige Leute auf die Tagesordnung setzen lassen (den Unterschied zwischen „wichtig“ und „richtig wichtig“ haben wir bis zum Schluss nicht verstanden). Die coolen Kidz organisieren sich derweil schon Praktikumsplätze, denn so Leute wie der Premier von Neuseeland und der Außenminister von Südafrika laufen hier einfach so vor unserer Nase rum und lediglich Sozialprestige und unsere Ehrfurcht bauen zu ihnen eine Mauer auf.

Kampf um Tische und Steckdosen
Räumlich betrachtet ist das Gedränge beim dritten Stand am größten. Um Platz für die 500-600 Delegierten aus der NGO-Welt zu schaffen, sind zwischen den Reihen mit Tischen weitere Stuhlreihen eingezogen worden. Die Plätze an den Tischen sind hart umkämpft. Hier geht’s zu wie mit den Handtüchern auf den Liegestühlen am Pool auf Malle. Noch schlimmer: Steckdosen gibts nur in den für die Medien bestimmten Reihen.

NGOs haben 10% der Beiträge
Die etwa 500 NGO-Vertreter*innen teilen sich etwa 10% der Redebeiträge. Zu Wort melden sich vor allem die Chef*innenetage von ICAN, Vertreter*innen von Betroffenenverbänden und engagierte Wissenschaftler*innen, die erläutern, warum sie bestimmte Ausführungsbestimmungen gerne lang- oder kurzfristiger umgesetzt sehen wollen.

Side Events
Nächster Tagungsordnungspunkt: Side Events. Dabei finden die gar nicht an der Seite statt sondern in der Pause. Man darf sich das ein bisschen wie die Arbeitsgruppen bei Bundeskongress der DFG-VK vorstellen. Die Side-Events können von ICAN oder den Botschaften der beteiligten Staaten auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ein*e Botschafter*in erläutert dann, warum das jeweilige Thema aus Sicht des jeweiligen Landes wichtig sei, und übergibt dann das Wort an Leute aus den NGOs oder Wissenschaft, die die jeweilige These stärken. Für die Staaten ist das super, weil sie sich als ganz cool und engagiert darstellen können, und für die NGOs ist das super, weil so eine Show in der UNO, na klar, wahnsinnig prestigeträchtig ist und die Spender*innen zuhaus das, na klar, total geil finden, wenn ihre NGO in der UNO redet und Selfies vom Redner*innenpult postet.

De-Kontamination in Kasachstan
Aber manche Side-events sind neben Selbstdarstellung und Wichtigkeitsgetue wirklich recht interessant und inhaltlich wertvoll. Bei einem spannenden Side-Event erläuterten z.B. Vertreter*innen der kasachstanischen Erdgas-Diktatur und Wissenschaftler*innen die Probleme bei der De-Kontamination des sowjetischen Bombentestgeländes in Kasachstan. Zwar sind die Tests gestoppt, doch handelt sich um tausende Tunnel und tausende Gebäude und tausende Hektar Land, die alle verstrahlt sind und aufwendig für Milliarden abgetragen, abgebaut und gelagert werden. Allein die Kartografierung, Erfassung und Planung der Maßnahmen hat Jahre gedauert und die Arbeiten sind auch 30 Jahre nach dem Ende des dortigen Atomwaffenprogramms noch lange nicht abgeschlossen und benötigen nach wie vor Unterstützung der internationalen Community, die dann der Weltbank und dem Weltwährungsfond sagt, dass Kasachstan mal mehr Kohle dafür kriegen möge.

Zwischendurch zeigt eine Frau Professorin aus Kasachstan Bilder von einer Demo gegen die Bombentests aus 1988. Sieht ziemlich demomäßig aus, die Professorin bezieht sich positiv auf den Protest und alles klatscht. Niemand fragt den anwesenden Botschafter, warum es solche Bilder heute nicht mehr gibt und was das mit Kasachstans Präsident*innen und Putins Fallschirmjäger*innen zu tun haben könnte. Die Szene zeigt beispielhaft, wie die Konferenz auch eine Bühne für Diktaturen und Korruptionsstaaten ist, um sich als cool zu präsentieren, und wie die ach so um Menschenrechte engagierten NGOs die Dikaturen damit durchkommen lassen.

Picknick auf der Dachterasse
Zwischendurch machen wir dann aber erstmal Mittags-Picknick auf der Dachterasse: Purer Luxus im Vergleich zu den spärlichen Portionen, die die anderen teuer kaufen müssen. Und wir haben Kaffee aus der Mate-Flasche, der sogar noch warm ist. Apropos Dresscode: Wir sehen trotz 33 Grad im Schatten sehr gut aus. Auch um uns herum gehts leger zu: Eine Clique junger Menschen aus Schweden ist zu kurzen Hosen und Shirts übergegangen, alte Haudegen aus der Friedensbewegung sind gleich im karrierten Holzfäller*innenhemd gekommen, die ICAN-Volunteers tragen ungeniert ihre ICAN-Shirts samt Logo, die ein oder andere Journalist*in döst beim Warten auf Befehle der Redaktion und ein Delegierter hat sogar seine Hängematte mitgebracht.

Singen mit Kiribati
Als wir wieder in den Saal kommen, appelliert der Botschafter von Kiribati gerade an die Vernunft der Menschheitsfamilie, singt unter großem Applaus der anderen Exzellenzen das Lied „We are all one happy family“, worauf Herr Kmentt das Spektakel humorvoll abmoderiert und auf die Einhaltung der Tagesordnung dringt. Und irgendwer aus der NGO-Welt sitzt auf den leeren Plätzen der Regierung des Senegals ohne Senegal zu sein, meldet sich, fängt an zu reden und wird von Herrn Knemett wieder abgestellt, weil er nicht Senegal ist. Mit derartigen Szenen konfrontiert beendet Vorsitzender Kmentt die Versammlung pünktlich um 18h. Wir haben etwa 35 Redebeiträge in der generellen Debatte geschafft, insgesamt stehen noch über 70 auf der Liste. Das Statement der deutschen Delegation haben wir leider verpasst. Aber bei Interesse haben die Volunteers von ICAN es sicher aufgeschrieben und stellen es gerne zur Verfügung.

https://twitter.com/nuclearban

Saufen dank Österreich
Doch viel länger hätte Herr Kmentt die UNO-Exzellenzen vermutlich ohnehin nicht halten können, denn ab 18.15 Uhr lädt Herr Schallenberg und sein Auswärtiges Amt wieder zum Empfang auf die Dachterasse. Ein echter Lichtblick in der kulinarischen Wüste des heutigen Tages. Für die Leichenfresser*innen gab es Häppchen mit Lachs und Roastbeef, für alle verantwortungsbewussten Leute Quinoasalat und Häppchen mit Hummus. Und dazu Ottakringer Bier und Wein in Rot und Weiß.

Fazit?
Insgesamt ist es ein riesen Fortschritt, dass es überhaupt zu dem Meeting gekommen ist und jetzt über die Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrag verhandelt wird, der in ein paar Jahren vielleicht sogar Realität werden könnte. Blöd aber, dass nicht die Staaten dabei sind, bei denen es eigentlich interessant wäre, und blöd auch, dass die sich dem Ganzen wahrscheinlich auch nie annehmen werden. Die Atmosphäre der Nuclearbanweek und vor allem die Einführungsveranstaltungen zur Staatenkonferenz waren sehr angenehm und schön gestaltet. Die Staatenkonferenz an sich war dagegen aber ganz schön anstrengend mitzuverfolgen und auch das Konzentrieren viel uns schwer, weil wir so ein Wichtigkeitsgequatsche und Formalieneinhalten nicht gewöhnt sind.

Ein großes Problem war allerdings die nicht vorhandene Queerness Repräsentation. Außer Ray Acheson (they/them) gab es keine Vertreter*innen der Community, die zu Talks auf dem Nuclearbanforum oder auf der Humanitären Konferenz am Montag eingeladen wurden. Und selbst die eine Diskussion zum Thema Feminismus und Gender war sehr kurz und binär gehalten. Wirklich toll zum Thema hat nur Mary Olson in ihrem Vortrag „Unterschiedliche Auswirkungen von Atomwaffen auf den männlichen und weiblichen Körper“ aufgeklärt, allerdings mit dem Fazit, dass bisher null wissenschaftliche Unhtersuchungen durchgeführt wurden, warum es diese unterschieldichen Auswirkungen überhaupt gibt. Wir stehen also noch ganz am Anfang, und wirklich interessieren tut das Thema auch die Wenigsten, denn wie immer eigentlich sind FLINTA*s und deren Sicherheit (Frauen, Lesben, Intersex, Nichtbinär, Transexuell, Agender) dem Patriarchat so ziemlich egal und fallen deshalb auch bei jeglichen Untersuchungen, was Sicherheitsvorkehrungen und Medizin angeht, hinten runter.

Ausblick
Wenn wir es nicht vertrödeln gibt nächste oder übernächste oder über-übernächste Woche noch ne Analyse, was das mit der UNO, der DFG-VK und den Jugenddelegationen in unseren Augen politisch bringt. Stay tuned!

Mehr Infos:

Unser Bericht zum ICAN Nuclear Ban Forum:
https://amab.blackblogs.org/2022/06/19/wir-bei-ican-in-wien/

Unser Bericht zur 2022 Vienna Conferencen ob the humanitarien impact usw…:
https://amab.blackblogs.org/2022/06/21/wir-waren-bei-der-vienna-conference-on-the-humanitarian-impact-of-nuclear-weapon/

Ein Interview von einem amab-Member in der Jungen Welt:
https://www.jungewelt.de/artikel/429212.kritik-an-nuklearer-teilhabe-es-ist-absurd-mininukes-kleinzureden.html

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