Unsere Reise zum Kongress „Antimilitarist Roots“ von War Resisters International (WRI) in London war eigentlich unterm Strich ziemlich cool, doch ein negatives Erlebnis möchten wir noch teilen. Zugegeben, bei uns und auch im U35-Netzwerk steht es mit der Aufmerksamkeit und der Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit nicht zum besten. Aber was eines unserer Crew-Mitglieder ausgerechnet mit einem unserer ebenfalls nach London angereisten Friedensfreunde aus der DFG-VK erlebt hat, ist leider eine Thematisierung wert. Denn es ist ein Lehrstück über toxische Männlichkeit und beantwortet in unseren Augen die Frage, warum Kooperation in der DFG-VK so schwer fällt. Doch der Reihe nach…
Hier der Erlebnisbericht eines unserer Mitglieder:
Es ist Sonntag, der Kongress ist vorbei, wir sitzen gemeinsam mit vielen anderen Teilnehmerinnen in einem Londoner Biergarten und lassen es uns gut gehen. Nach einiger Zeit mache ich den Fehler, mich an einen Tisch mit zwei weiteren DFG-Vklerinnen zu setzen. Ich denke mir, dass schon nichts schlimmes passieren wird, denn neben einer weiteren Person von einer anderen Organisation aus D-Land sitzen mit mir am Tisch Genoss*innen aus Finnland, Russland, Großbritannien und Spanien. Ich gehe einfach davon aus, dass Team DFG-VK sich in so einer Umgebung benehmen könnte. Doch falsch gedacht.
Die Verabschiedung
Eine Zeitlang geht alles gut. Doch dann kommt von einem weiteren Tisch eine Person aus der DFG-VK dazu, um sich zu verabschieden. Auch das scheint zunächst glatt zu gehen. Ich verabschiede mich nett freundlich, der Angesprochene verhält sich auch halbwegs angemessen. Doch dann spricht eine andere Person aus der DFG-VK uns beide darauf an, dass das Verhältnis unter uns doch recht frostig sei und dass sie, wenn es gewünscht sei, eine Mediation machen könnte. Bevor ich etwas sagen kann, lehnt die andere Person das Angebot brüsk ab. Ich zucke mit dem Schultern und sage etwas wie „Du siehst, da kann man nix machen.“
Mediation?
Nachdem die sich verabschiedende DFG-VKler*in gegangen ist, spricht die Person, die gerne mediieren möchte, das Thema in deutscher Sprache erneut an (der Rest am Tisch unterhält sich auf Englisch). Die Person fragt mich, was eigentlich das Problem sei. Ich versuche, das Thema abzumoderieren, indem ich sage, dass sie es doch gesehen habe. Leider hat dies nicht den gewünschten Effekt. Die Person bohrt weiter nach.
Hier erlag ich dem Glauben, dass man mit einer sachlichen Info das Problem schnell aus der Welt schaffen könne. Doch spätestens damit begann eine fatale Entwicklung. Ich berichtete, dass die Leute aus der betreffenden Basisgruppe uns einen Bericht über den letzten Bundeskongress sehr nachtragen täten. In dem Bericht thematisieren wir, dass die besagte Basisgruppe als Reaktion auf technische Probleme personalisierte Zugangscodes zur Online-Abstimmung untereinander getauscht habe, statt sich an die Formalia zu halten und mit einer Beschwerde an die Sitzungsleitung auf das Problem aufmerksam zu machen und damit die Legitimität der ganzen Abstimmungen bedroht habe. Und dass ein Delegierter anschließend das ganze auch noch ohne jedes Problembewusstsein in einem Redebeitrag groß rausposaunt hat…
Ausreden lassen?
Doch leider kam ich auf der Sachebene gar nicht so weit. Denn in guter alter DFG-VK-Tradition unterbrach mich die weitere mit am Tisch sitzende Person aus der DFG-VK lautstark, um meine Darstellung des Problems zu unterbinden. Daraufhin bat ich ihn, mich bitte ausreden zu lassen. Denn sich ausreden zu lassen und sich zunächst gegenseitig zuzuhören, sollte doch in einer Friedensbewegung selbstverständlich sein. Daraufhin kamen Ausflüchte, dass die Person mich doch gar nicht unterbrochen hätte.
Anschreien
Da ich auf meine Wahrnehmung der Situation bestand („Doch, Du hast mich gerade unterbrochen. Wenn Dir das nicht auffällt, solltest Du Dein Gesprächsverhalten besser reflektieren“ oder so ahnlich), unterbrach mich die Person gefühlt keine 10 Sekunden später erneut lautstark. Nun bestand ich darauf, dass ich nicht angeschrien werden möchte. Die Reaktion der Person waren Ausflüchte und Leugnen des Anschreiens. Da ich jedoch erneut auf meiner Wahrnehmung bestand („Doch, du hast mich gerade angeschrien und alle haben es gehört“ oder so ähnlich), ruderte die Person zunächst zurück, doch dauerte es lediglich gefühlte weitere 30 Sekunden, bis die Person mich erneut und noch lauter mit den Worten „Deine Bedürfnisse sind mir Scheißegal!“ anschrie.
Fremdschämen
Daraufhin wandte ich mich an die Person am Tisch, die die Debatte mit ihrem Mediationsangebot angestoßen hatte. Ich sagte etwas wie: „Guck, da hast Du es. Meine Bedürfnisse sind ihm „Scheißegal“ und vor lauter toxischer Männlichkeit schämt er sich nichtmal, das lauthals zu rufen. Auf welcher Grundlage möchtest Du denn da eine Mediation machen?“ (oder so ähnlich). Das löste Ratlosigkeit und Fremdscham bei der Person aus, die eigentlich mediieren wollte.
Lamentieren
Das wirkte zunächst beruhigend auf den erbosten Friedensfreund. Aber leider gehören Innehalten und Selbstreflektion nicht zu den Tugenden, die in der Gesprächskultur der DFG-VK hochgehalten werden. Also gings nach sehr kurzer Zeit weiter. Statt einer Entschuldigung für das unmögliche Verhalten bekam ich den nächsten Redeschwall ans Ohr: Wie schwer es die betreffende Basisgruppe vor dem Buko gehabt habe. Wie viel sie hätten organisieren müssen. Und dann auch noch dieses Internet… da könne man doch nicht erwarten, dass sie sich an satzungsgemäße Vorgehensweise halten müssten (ok, das letzte war von mir, aber darauf lief das Lamentiere im Prinzip hinaus).
Bedrohliches Fuchteln
Richtig unangenehm bei diesem Redeschwall war, dass die Person ständig mit dem Händen so ganz typisch toxischer Mann nur wenige Zentimeter vor meinem Gesicht und dem der weiteren Person rumgestikulierte und damit regelmäßig bedrohlich in unsere Persönlichkeitsbereiche eindrang. Da es mir langsam reichte, mich mit toxischem Verhalten von unreflektierten Cis-Dudes auseinander zu setzen, hörte ich zu, bis er sein Statement bezüglich der allgemeinen Überforderung seiner Basisgruppe beendet hatte. Dann bat ich ihn, doch bitte damit aufzuhören, ständig mit seinen Händen in meinen Persönlichkeitsbereich rumzufuchteln, und ob er derart Raum einnehmendes toxisch-männliches Dominanzgehabe nicht unterlassen könne. Die Reaktion war der nächste Wutanfall. Was mir einfiele, sein Verhalten so zu kritisieren und so.
Intervention
Darauf intervenierte die Person, die eigentlich hatte mediieren wollen, und rief den Friedensfreund mit beruhigenden Worten zur Ordnung. Und darauf ließ ich mich auch ein. Um die Bemühungen der Person zu unterstützen, sagte ich: „Lass uns über was positives reden: Was machst Du so? Woran arbeitest Du in der DFG-VK? Was ist dein Steckenpferd?“
Ironie ist zu viel verlangt
Leider hatte diese Bemühung keinen Erfolg. Die Benutzung des altmodischen Wortes „Steckenpferd“ statt des neudeutschen Anglizismus „Hobby“ schien zu viel Selbstironie und kritische Distanz zum eigenen politischen Wirken vorauszusetzen. Die Person entgegnete mir wütend: „Ich hab kein Steckenpferd!“ und nach einer kurzen Pause fuhr die Person fort, dass sie sich gar nicht positiv unterhalten wolle, denn das sei eh alles sinnlos und mit Leuten wie mir könne man ohnehin nicht reden oder Politik machen (die Begründung hab ich vergessen).
Der Gegenangriff
Mir war das mittlerweile genug. Ich schaltete intiutiv auf DFG-VK-Friedensmacker-Verhalten um und sagte der Person mit deutlichen Worten, ob sie sich nicht schämen würde. Ob ihm sein Verhalten nicht peinlich sei. Er würde von Verhandeln, Zuhören und Frieden labern, aber die einfachsten Basics von konstruktiven Umgang, den man selbst im Kindergarten schon lernen würde, nicht drauf haben (ja, zu dem Adultismus hab ich mich leider hinreißen lassen…). Und dass wenn er mit seinem Gerede von Friede, Verhandeln, Zuhören ernst genommen werden wollen würde, er sich auch entsprechend verhalten müsse. Und dass er dafür mal anfangen könne, diesen ganzen Haufen toxische Männlichkeit, den er so mit rum schleppt, zu reflektieren.
Rumkumpelnde Dudes
Daraufhin stand er auf und ging zu einem anderen Tisch zu einem weiteren Friedensfreund aus der DFG-VK. Ich weiß nicht, was da passiert ist, aber es sah nicht so aus, als ob der weitere Friedensfreund seinem Genossen beim Reflektieren des eigenen Verhaltens behilfreich gewesen wäre. Es sah eher so aus, als ob der Dude seinen Kumpel darin bestärkt, dass das wirklich ganz schlimm sei, dass man jetzt sogar schon in der Friedensbewegung nicht einfach mehr Leute mit anderen Ansichten unterbrechen und anschreien dürfe.
Laune im Arsch
Ich hatte danach keine Lust mehr auf Feiern. Ich bin zur Unterkunft gegangen. Das unmögliche Verhalten des Friedensfreundes hat mir gehörig den Abend versaut. Warum engagiere ich mich eigentlich in einem Laden, in dem so ein Verhalten als völlig in Ordnung und „normal“ gilt?
Warum veröffentlichen wir das?
Wir veröffentlichen das, weil wir das Geschilderte nicht für einen Einzelfall halten. Im Gegenteil. Wir erleben so männlich-dominantes toxisches Redeverhalten regelmäßig. Mit eurem Verhalten und der kollektiven Nicht-Reflektion dessen schadet ihr unserem Verband massiv: Erinnert euch an all die Leute, die bei euch in den Basisgruppen auftauchten, über die ihr euch sehr gefreut habt, und die dann nie wieder aufgetaucht sind. Ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht: Ein Grund dafür ist, dass toxisches Verhalten in der DFG-VK absolut akzeptiert ist und Leute von Heute darauf keinen Bock mehr haben und sich dann eben woanders engagieren.
Wir finden es sehr gut und unterstützenswert, dass eines unserer Mitglieder seine Erinnungen an den Vorfall verschriftlich hat und uns erlaubt hat, da öffentlich drüber zu reden. Wir haben kein Bock mehr dadrauf und sehen nicht ein, warum wir männlich-dominantes toxisches Redeverhalten aushalten sollten oder zugucken, wie ihr unseren Laden mit permanentem toxischem Verhalten an die Wand fahrt. Reflektiert euch gefälligst.
Antimilitaristisches Aktion Berlin, Juni 2023
PS: Wie gemein, wir geben gar keine konstruktiven Tipps, was Du besser machen kannst? Haben wir schon mal gemacht, hat damals niemanden interessiert, deswegen sparen wir uns diesmal die Mühe. Falls es Dich tatsächlich interessiert, und das nicht nur ablenkendes Rumlamentieren wird, gibt es hier ein paar Tipps (bitte ganz lesen, die Tipps kommen am Ende):
PPS: Auch das mit „Scheißegal“ kennen wir schon. Im Bundesausschuss erlebten wir z. B. wie wer aus der Konsens-Gewaltfreie-Kommunikationsfraktion ganz offen formulierte, dass ein Konsens, der Positionen von Team Berlin beinhalte, per se „kein echter Konsens“ sei: