“No War Anywhere: Strategies Against War”: Ein Teilnehmenden-Bericht

Wir waren bei War Resisters International in London im Juni. Dort luden uns Menschen von Service Civil International (SCI) zu einer Jugendbegegnung nach Klosterneuburg in Österreich in der Nähe von Wien ein. Eine Person aus Berlin nahm an dem Seminar “No War Anywhere: Strategies Against War” teil. Ein Erlebnisbericht über Kampagnenplanung, internationale Begegnung und Besonderheiten der Austria.

Vom 25. Juni bis 2. Juli habe ich an dem Seminar “No War Anywhere: Strategies Against War” in Wien teilgenommen. Der Workshop war gleichzeitig als Austausch unter Jugendlichen aus der EU konzipiert und Teil des Seminarprogramms der internationalen Freiwilligenbewegung Service Civil International (kurz SCI). Die beiden Teamer*innen Thomas (he/they) und Danai (they/she) haben zusammen mit anderen Menschen, die für SCI arbeiten, 8 Tage tolles Programm auf die Beine gestellt. Das Ziel: mit uns, den Teilnehmenden, zusammen erarbeiten, wie man Kampagnenplanung als eine gute Strategie des Aktivismus gegen Militarismus einsetzen kann. Und uns bei dem Entwickeln unserer eigenen Kampagne unterstützen. Was mir besonders gut gefallen hat: dass uns das Ganze mit Methoden der Non-Formal Education nahe gebracht wurde.

Ankommen und niedrige Hierarchien
Direkt die erste Session begann mit einer Embodiment/ Meditationsübung, die uns erden und dabei helfen sollte, anzukommen. Danach gab es im Raum verteilt viele Stationen, an denen wir unsere Erwartungen für die Woche sammelten und uns selber und unsere Themengebiete/ politische Arbeit vorstellten. Im nächsten Teil erarbeiteten wir zusammen, welche Regeln wir als Gruppe aufstellen wollten. Ich fühlte mich sehr wohl und gesehen in meiner Vorstellung vom Zusammenleben in einer großen Gruppe, da wir alle einbringen konnten, was uns für die nächste Zeit wichtig sei. Besonders angenehm war, dass dadurch die Hierarchien sehr gering gehalten wurden, da Danai und Thomas sich nicht über uns stellten, indem sie uns z.B. einfach ihre Regeln aufdrückten. Dieser Aspekt hat sich die ganze Woche sehr bemerkbar gemacht, wir sind uns alle auf Augenhöhe begegnet. Egal ob Teamer*innen, SCI-Mitglieder oder Teilnehmende.

Infopoints zu Krieg und Frieden
Für die nächste Session verteilten Thomas und Danai verschiedene Info-Points zum Thema „Krieg und Frieden“ im Raum, an denen Artikel, Bilder und Videos gesammelt waren. Besonders gut hat mir gefallen, dass dabei Themen wie Kolonialismus und patriarchale Unterdrückung mit (Anti-)Militarismus verknüpft wurden. Wir hatten Zeit, eigenständig in unserem Tempo an den Verschiedenen Stationen zu arbeiten, je nachdem, was uns gerade am meisten interessiert. Sehr beschäftigt hat mich, dass die Investmentgesellschaft von Spotify-Mitbegründer und CEO Daniel Ek 100 Millionen Euro in ein Unternehmen für künstliche Intelligenz investiert hat, das militärische Technologieprojekte unterstützt. Und warum viele meiner Freund*innen und ich selbst davon bisher nichts wussten.

Eigene Kampagne entwickeln?
Die Infomaterialien gaben uns einen sehr guten Einstieg in das Thema (Anti-)Militarismus und dienten mir persönlich schon mal als erste Inspiration für meine eigene Themenfindung. Ziel des Workshops sollte es am Ende nämlich sein, eine eigene Kampagne zu einem antimilitaristischen Thema zu entwickeln und in der eigenen Stadt umzusetzen. Da es für viele von uns das erste Mal war, dass wir eine Kampagne entwickelten, gaben sich Danai und Thomas sehr viel Mühe, das Thema von Grund auf leicht zugänglich zu machen. Wir fingen an, indem wir uns in Gruppenarbeit mit historischen und aktuellen antimilitaristischen Kampagnen beschäftigten. Ich konnte aus dem Lernen über die vielen erfolgreichen, gewaltfreien Widerständen sehr viel Kraft ziehen. Und ich merkte, wie es mir Zuversicht schenkte und ich wieder einen optimistischeren Blick bekam, den ich manchmal aufgrund der Geschehnisse in der Welt zu verlieren drohe.

Stop Killer Robots besonders interessant
Die Kampagne „Stop Killer Robots“ fand ich besonders interessant. Es ist eine weltweite Bewegung, die sich dafür einsetzt, die Entwicklung, Produktion und den Einsatz von vollautonomen Waffen, auch bekannt als „Killer-Roboter“, zu stoppen. Diese Waffen haben das Potenzial, Ziele ohne menschliches Eingreifen auszuwählen und anzugreifen. Mit der Kampagne soll das Bewusstsein für die ethischen, rechtlichen und humanitären Bedenken im Zusammenhang mit diesen Waffen geschärft werden. Die Kampagne hat erfolgreich die weltweite Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und mehrere Länder und Organisationen haben sich nun schon für ein präventives Verbot oder strenge Vorschriften für Killerroboter ausgesprochen.

Automatisches Zielen?
Doch die Kampagne ist noch immer am kämpfen, das Ziel noch nicht erreicht. Das aktuellste Beispiel ist wohl folgendes: Am 30. November 2023 sind Berichte veröffentlicht worden, dass die israelische Arme (IDF) ein automatischen Zielsystem „Habsora“ im Gazastreifen einsetzt, um zu entscheiden, was und wer angegriffen wird. „Habsora“ ist nicht wirklich ein „Killer-Roboter“, denn er ist nicht für das Angreifen zuständig. Vielmehr verwendet er Daten, um Hunderte von Zielen pro Tag in einer Geschwindigkeit vorzuschlagen, mit der ein Mensch niemals mithalten könnte. Die israelische Armee prüft diese Ziele und entscheidet dann, was sie angreifen will.

Was tut die Software?
Es ist noch unklar, welche Daten verwendet werden, um zu entscheiden, auf welche Infrastrukturen oder Menschen gezielt werden sollen. Das System scheint allerdings dazu zu führen, das die IDF der zivilen Infrastruktur übermäßigen Schaden zufügt und potenziell Zivilist*innen tötet. Das steht im Widerspruch zu den Kriegsgesetzen, die besagen, dass ein Angriff in erster Linie einen militärischen Vorteil bringen muss und nicht die Bevölkerung unter Druck setzen darf, sagen die Berichte zum Thema. Das Ganze ist sehr beunruhigend, da Menschen so auf Daten reduziert werden (Digitale Entmenschlichung) und die Verantwortung weitgehend an das System abgegeben wird. Denn der Mensch ist einfach nicht in der Lage ist, jede Entscheidung des Systems im Detail zu überprüfen. Es besteht auch die ernste Gefahr, dass sich die Menschen zu sehr auf automatisierte Systeme verlassen, die Empfehlungen für Zielpersonen aussprechen. Und dass ohne zu verstehen, wie diese Empfehlungen überhaupt zustande gekommen sind (Quelle: https://acesse.one/0FFd3).

Strategien und Taktiken bei Kampagnenplanung
Der Dienstag war komplett der Kampagnenplanung gewidmet. In kurzen eindrücklichen Präsentationen erklärten Thomas und Danai uns alles zu Strategien und Taktiken der Kampagnenplanung. Mit diesem Wissen konnten wir in unsere erste Recherche für unsere eigene Kampagne starten. Am Abend reflektierten wir dann, wie auch schon am Abend davor, gemeinsam den Tag. Dafür fanden wir uns in Gruppen zusammen und tauschten uns darüber aus, wie es uns geht, was wir vom Tag mitgenommen haben und ob es Sachen gibt, die uns noch beschäftigen. Diese Einheit half mir jeden Abend sehr, den Tag nochmal Revue passieren zu lassen, dadurch Eindrücke besser zu verarbeiten und ein wenig zur Ruhe zu kommen.

Ein Tag in Wien
Am Mittwoch sind wir alle zusammen nach Wien gefahren. Dort gaben Mirna und Thomas uns eine antimilitaristische Stadtführung, die richtig spannend war. Besonders gut gefiel mir die Graffiti-Aktion im ersten Bezirk Wiens: Hier steht seit 1926 ein gewaltiges Denkmal zu Ehren des ehemaligen Bürgermeisters und Antisemiten Karl Lueger. Doch dieser hat 2020 ein Make-Over bekommen: Aktivistis haben zur besseren Einordnung „Schande“ und „Nazi“ auf das Denkmal geschrieben und seitdem wurden immer mal wieder neue Wörter und Farbe ergänzt. Seit 2009 setzt sich ein Arbeitskreis für die Umgestaltung des Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus ein. Im Juni 2023 wurde dann endlich dem Entwurf stattgegeben, die Statue um 3,5 Grad in Schieflage zu bringen, um symbolisch die Ehrwürdigkeit Karl Luegers zu brechen und seine Aufrichtigkeit infrage zu stellen.

Personenkult
Doch noch immer gibt es einen großen Personenkult um den ehemaligen Bürgermeister und die Stadt Wien schreibt auf ihrer Website, er sei eine „in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Persönlichkeit“. Außerdem weigert sie sich, die Statue komplett zu entfernen, entgegen Forderungen vieler Menschen der jüdischen Community. Bis zu einer ausführlichen und gewissenhaften Aufarbeitung der Geschichte ist es also noch ein langer Weg.

Besetztes Haus besucht
Den Tag konnten wir uns frei gestalten und um 17 Uhr trafen wir uns dann wieder im Amerlinghaus, ein ehemals besetztes Haus und nun linkes Kulturzentrum. Dort nahmen wir an einem Workshop der beiden antimilitaristischen Aktivistinnen Nadja Schmidt von ICAN AUSTRIA und Sonja Bertram vom Internationalen Versöhnungsbund teil. Sie berichteten uns viel über ihre Arbeit gegen Krieg und Militarismus und für Abrüstung und wir diskutierten über unterschiedliche Formen des Aktivismus und mehr. Danach waren wir alle zusammen noch Pizza essen und auf einer Musik- und Tanzveranstaltung im Museumsquartier.

Aufmerksamkeit schaffen mit Social Media
Am Donnerstag ging es darum, wie man Social Media dafür nutzen kann, um mit der Kampagne Aufmerksamkeit und dadurch die richtige Zielgruppe zu erreichen. Und darum, dass man sich auf jeden Fall Verbündete suchen und Netzwerke bilden muss, um Erfolg zu haben. Mit diesem neuen Wissen ging es dann in die finale Arbeitsphase, für die der gesamte Freitag eingeplant war. Vor dem Mittag hatten wir Zeit, uns gegenseitig unsere Kampagnen vorzustellen und uns letzte Tipps und Motivation zu geben. Und auch Danai und Thomas standen uns stets zur Seite. Die beiden nahmen sich viel Zeit, um jede Person von uns beim Erarbeiten unserer Kampagne zu unterstützen und wichtige Fragen zu klären.

Kampagne: Jetzt aber wirklich!
In den beiden Sessions „Next Steps“ am Freitag und Samstag ging es viel darum, wie wir es schaffen unsere Kampagne wirklich umzusetzen und wie wir uns für Funding von SCI bewerben können. Denn theoretisch Kampagnen zu erarbeiten, war für uns alle noch gut machbar, vor allem, weil wir uns eine ganze Woche konzentriert nur damit beschäftigten. Aber wenn es dann wieder nach Hause und in den Alltag geht, ist es schwieriger, diese Motivation und Energie aus der Woche aufrecht zu erhalten. Deshalb tauschten wir uns aus, wie wir am besten damit umgehen und uns bei Schwierigkeiten Unterstützung suchen können. Als letztes haben wir uns Zeit für eine ausführliche Reflexion der Woche genommen und alle zusammen das Haus geputzt. Am Abend gab es dann noch eine Abschiedsparty und am nächsten Tag ging es schon nach Hause.

Fazit: Super Woche!
Mir hat die Woche super gut gefallen und ich habe sehr sehr viel mitgenommen für die Zukunft. In besonders guter Erinnerung sind mir die Gespräche in den Pausen, beim Essen, am Abend und einfach Zwischendurch mit den anderen Teilnehmenden und Teamer*innen geblieben. Es war super spannend, von den Erfahrungen in Bezug auf (Anti)Militarismus der anderen zu hören und einen Einblick in die Lebensrealität der einzelnen Personen, unter anderem auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Politik der Länder zu bekommen. Ich bin sehr gerne in den Austausch gegangen, da es ein sehr schöner und sicherer Rahmen war, um voneinander zu lernen und miteinander zu diskutieren.

Danke sehr!
Ohne die super Arbeit von Danai und Thomas und den andere Teamer*innen wäre das so nicht möglich gewesen – ich bin ihnen sehr sehr dankbar für die tolle Reise und dass sie sich trotz der großen Anstrengung, die so ein Job und ein 24/7-Verantwortlich-Sein auslöst, so sehr um uns gekümmert haben. Und vielen Dank an die Antimilitaristische Aktion Berlin, dass ihr mich überhaupt auf diese tolle Möglichkeit aufmerksam gemacht habt – gerne wieder!

Mehr Infos:

Service Civil International (SCI)

Wir bei der UNO in Wien

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