Jugendnetzwerk verkündet 100 Milliarden bessere Ideen für 100 000 000 000 € vorm Kanzler:innenamt: Seenotrettung und Klimaschutz sind mehr Geld wert als die Bundeswehr.Asyl für Kriegsdienstverweiger:innen und Bleiberecht für Alle statt Investitionen in Militär, von der ausschließlich die Rüstungsindustrie profitiert. – Starke Bilder und ein starkes Netzwerk.
Besser kann unsere Botschaft nicht platziert sein als direkt vor dem Bürogebäude des Menschen, der große Stimmgewalt bezüglich unserer Forderung hat. „Retten statt Rüsten“ fordern wir, das U35-Netzwerk der DFG-VK und die antimilitaristische Aktion Berlin (amab), zum bundesweiten Aktionstag am 19. November vorm Bundeskanzler:innenamt. Umrahmt war die Aktion von einem Workshopwochenende.
Auftakt
Das Wochenende begann am Freitagabend mit einer gemütlichen Kennenlernrunde und der Vorstellung und ausführlicher Diskussion einer Awareness-Strategie für die nächsten Tage. Denn wir hoffen, dass sich alle willkommen und gut aufgehoben fühlen. Zu dieser Gelegenheit lernten sich auch die Teilnehmer*innen des Aktionswochenendes und die Jugendlichen des parallel stattfindenden Diskussionswochenendes gegenseitig kennen.
Nach köstlichem Abendessen üben wir diskutieren und argumentieren zum 100 Milliarden Paket mit ein paar harten Zahlen über verwendete Geldmittel für verschiedene Zwecke im Bundeshaushalt. Die erprobten Gesprächsstrategien helfen bestimmt nicht nur bei der Aktion am nächsten Tag, sondern vielleicht auch in Alltagsgesprächen über Abrüstung und Antimilitarismus.
Die Aktion
Samstagmorgen: Die letzten Aufgaben werden verteilt und ein weißer Transporter fährt vorm Bundeskanzler:innenamt vor, beladen mit Equipment, dass wirklich nicht hochseetauglich ist. Im Tagungshaus geht derweil das Diskussionswochenende für Jugendliche so richtig los und die Teilnehmer*innen fangen an, Argumente über das Sondervermögen, dessen Sinn oder Unsinn, und mögliche Alternativen auszutauschen.
Nachdem die überraschend schwere Rettungsinsel vor dem Zaun des Kanzler:innenamts angekommen ist, muss Luft hinein. Normalerweise werden bei Wasserkontakt Gaskartuschen ausgelöst, die die Rettungsinsel mit Luft füllen, sodass sie die Schiffbrüchigen über Wasser hält. Weil wir diese Kartuschen nicht vorm Bundeskanzler:innenamt aufknallen lassen wollten um weder uns noch den Kanzler oder die Polizei zu erschrecken, wurde die Rettungsinsel mit einem glücklicherweise spontan ausleihbaren Laubbläser bepustet.
Nach Verbrauch allen Stroms befand sie sich in einem nur möglicherweise schwimmbaren Zustand, den Schlauchboote auf dem Mittelmeer erschreckend ähnlich. Ob jene Gaskartuschen bei Wasserkontakt die Gummischale tatsächlich zum Schwimmen befähigen, wissen wir nun genau so wenig, wie es fliehende Menschen vor Antritt ihrer viel zu oft tödlichen Reise über ihr Schwimmgefährt wissen. Zwölf Rettungswesten für eine Rettungsinsel, die für bis zu 60 Personen ausgelegt ist, ist wahrscheinlich auch eine realistische Quote.
Forderungen
Rettung verdient mehr Geld als Rüstung; eigentlich einfach menschlich. Sichere Fluchtwege, ein Bleiberecht für alle, egal vor welchem Krieg oder welchen anderen Krisen oder Katastrophen sie fliehen, sollte mehr Geld wert sein als eine Überfinanzierung der Bundeswehr von der letztlich keine:r profitiert außer der Rüstungsindustrie, nicht mal die Ukraine.
Der dortige Krieg dient zwar als Begründung für diesen enormen Geldbatzen für die auch noch marode Bundeswehr doch auch Ukrainer:innen, Menschen aus Russland und Belarus oder anderen von diesem Krieg Betroffene würden von einem leichteren Asylverfahren, einem gesicherten Bleiberecht in Deutschland mehr profitieren als von gesamteuropäischer Aufrüstung. Fliehende, die über das Mittelmeer müssen, leiden unter Frontex und der sogenannten lybischen Küstenwache. Hier fließen die Milliarden hin.
Auch die zivile Seenotrettung hat mit eben denen zu kämpfen. Warum gibt es eigentlich nur „zivile“ Seenotrettung? Wie viele Milliarden bräuchte eine staatliche Seenotrettung, die wirklich rettet?
Gespräche mit Passant*innen
Den wenigen vorbeihastenden Passant:innen versuchen wir das zu erzählen. Wofür würden Sie 100 Milliarden ausgeben? Einige hören sich, auch wenn in Eile, gerne an wie diese 100 000 000 000 € besser investiert werden können, wie gruslig wenig Geld in Klimaschutz gesteckt wird, während das Militär solche Summen erhält. Ist doch die Klimakrise eigentlich in aller Munde, gerade im von „Klimaklebern“ aufgewühlten Berlin. Keine:r, der durch die Kälte, eisigen Wind und Schnee wirklich nicht zum stehenbleiben eingeladenen Passant:innen, würde unsere Forderung nach Seenotrettung kritisieren doch Kritik an Aufrüstung oder überhaupt der Bundeswehr geht einigen zu weit. Wie sollen wir uns denn gegen einen Angriff wehren? – Wir bieten auch Flyer zu sozialer Verteidigung an, vielleicht liest sie ja der eine oder die andere später im Warmen.
Fight Friedensschwurbel
Unsere Botschaft wird geteilt von der Naturfreundejugend Berlin und der antiverschwurbelten Aktion. Letztere bringt in ihrer Rede ein großes Problem der Friedensbewegung glänzend auf den Punkt: Zu viele Menschen aus der Friedensbewegung grenzen sich nicht nach rechts ab, teilen Meinungen von Verschwörungstheoretikern oder widersprechen diesen zumindest nicht. Das ist nicht gut für die Glaubwürdigkeit der Bewegung und nicht gut für die Werbung junger Menschen, besonders FLINTA*.
Völlig durchgefroren packen wir nach ein paar Stunden die Insel und ihren Anhang ein, wärmen uns im Haus wieder auf, reflektieren die Aktion, das Wochenende, überlegen, wie es weiter gehen soll. Was machen wir als nächstes? Wie motivieren wir mehr junge Menschen mitzumachen? Kommt einfach – wir haben schon Pläne, die euch begeistern werden!
Medienberichte
Im Nachgang der Aktion gibt es einen Artikel in der Zeitung „Neues Deutschland“, einen Videobeitrag von „laut-werden“, die große Nachrichtenagentur AFP war dabei. Neben dem eher mauen, aber eigentlich auch nicht erwarteten, Publikumsverkehr gibt es also ein schönes Medienecho und natürlich starke Bilder. Wir haben Menschen erreicht, manche denken sicher über unsere Forderung nach. Wir haben uns weiter vernetzt und motiviert, tragen diese Motivation und unsere Forderungen in unsere verschiedenen Wohnorte, um zum nächsten Mal mehr zu werden.
Clara Trommer, DFG-VK-Mitglied und unter 35 Jahre alt. Ursprünglich erschien der Text in der Zivilcourage in der Dezember-Ausgabe 2022.