World Peace Congress 2021- Ein Fazit

Der World Peace Congress, den wir im Rahmen einer Jugenddelegation der DFG-VK und dank der Unterstützung des Alois-Stoff-Bildungswerks und vielen Spender*innen besuchen durften, ist vorbei und wir sind zurück aus Barcelona. Zeit, zu versuchen, ein Fazit zu ziehen. Oder mehrere, denn das IPB ist deutlich diverser als die DFG-VK, es fehlt aber an Sensibilisierung beim Thema Israel, und Reiner konnten wir von einer neuen Seite kennen lernen.

Besser als befürchtet
Zu allererst: Der Kongress war nicht annähernd so schlimm wie befürchtet. Die von uns im Vorfeld beargwöhnte Veranstaltung mit russischen Putin-Lobbyist*innen hat nicht stattgefunden. Auch Oligarchen-Kidz, die ihren Präsidenten für den zweitgrößten Friedensstifter aller Zeiten halten, sind uns nicht häufiger begegnet als daheim an der Uni. Wie unsere Veranstaltungsberichte auf unserem Blog zeigen, waren viele Workshops durchaus interessant und gehaltvoll. Besonders stach das Jugendforum mit offenem Format, erinnerungspolitischer Stadtführung, Storytelling-Workshop und Pizza heraus (detaillierter Bericht vom Jugendforum).

Diverser als Deutschland
Ob Alter, Geschlecht oder Hautfarbe: Das Publikum des Kongresses war deutlich diverser als wir das aus der Friedensbewegung in Deutschland gewohnt sind. Das spiegelte sich auch im Veranstaltungsprogramm. Feminismus und Antirassismus wurden in Workshops und auch auf dem Hauptpodium häufig und selbstverständlich thematisiert. Davon kann die DFG-VK noch was lernen!

World oder Westen?
Ob der Begriff „World Congress“ angemessen war, bezweifeln wir jedoch. Die meisten Menschen, die wir trafen, kamen aus westlichen Ländern. Auch bei den Referent*innen hatten diese ein Übergewicht (Reiner Braun vom IPB behauptet was anderes. Wir haben da Zweifel, wer will, kann ja das schriftliche Programm auszählen). Und hauptamtliche Mitarbeitende des IPB haben wir vor allem aus Deutschland kennen gelernt (gibts welche in anderen Ländern?).

Wo warn die Aktivistis?
Ein deutliches Problem in unseren Augen war das Fehlen von Aktivist*innen. Jetzt werden viele sagen: Wieso? War doch alles voll mit Peace-Activists… Nein, war es nicht. Das ganze war ein Treffen von NGO-Angestellt*innen und Akademiker*innen, die mit Friedensforschung betraut sind (eines unserer Mitglieder bringt das in diesem Bericht vom Jugendforum sehr treffend auf den Punkt). Die Dominanz von akademischen Perspektiven zeigte sich im Workshop-Programm, wo Aktivisti-Wissen kaum vertreten war. Und dort, wo es stattfinden hätte können, wurde lieber auf NGO-Angestellte zurück gegriffen.

Expert*innen langweilen
Die Fokussierung auf angebliche Expert*innen spiegelte sich leider auch in vielen Veranstaltungen wieder. Statt Begegnung auf Augenhöhe zu ermöglichen, konnte man mittels Zoom Expert*innen dabei zuschauen, wie sie sich gegenseitig zuschwafeln. Besonders enttäuschend war das beim Workshop zu Online-Aktivismus in Corona-Times. Da das ein neues Thema ist und die politische Arbeit aller betrifft, hätte es sich hier angeboten, die Erfahrungen der Anwesenden fruchtbar zu machen. Statt dessen gab es Zoom-Vorträge von NGO-Mitarbeitenden, deren NGOs es nicht mal hinkriegen, Server mit freier Software zu bezahlen (geschweige denn aufzubauen) und stattdessen trotz all ihrer Spendengelder auch im Jahr 0002 der Pandemie ziemlich hilflos kommerzielle Datenkraken füttern.

Fehlende Infrastruktur
Die Ausrichtung auf Hauptamtliche zeigt sich auch in der Infrastruktur. Denn die gab es größtenteils nicht. Bis auf beim Jugendforum wurde wie selbstverständlich voraus gesetzt, dass man es mit Leuten zu tun hat, für die die Verpflegung in der teuren Innenstadt kein Problem ist (über die Kaffeepause ohne Kaffee mokiert sich ein*e Teilnehmer*in unserer Jugenddelegation in diesem Bericht recht treffend).

Ähnliches bei der Unterkunft. Zwar gab es Hinweise auf zwei Hostels mit Rabattcode auf der Kongress-Homepage, doch schienen die uns recht lieblos ausgesucht. In dem einen gab es lediglich recht teure 16-Zimmer, im anderen verrieten die Rezensionen bei Google, dass das Hostel vor allem wegen seiner „Pup-Crawls“ beliebt ist. So etwas wie eine Schlafplatz-Orga, die doch gerade mit Unterstützung der Stadt Barcelona gut einzurichten gewesen wäre, gab es nicht. Für ehrenamtliche Aktivistis, die ihr Klima-Mord-Flugticket für den Konferenz-Tourismus nicht von ihrer Arbeitgeber*in bezahlt bekommen, sind das sehr hohe Hürden. Erst recht, wenn es sich nicht um Mittelstands-Kidz wie uns, sondern um normale Leute aus dem Globalen Süden handelt.

Klima-Mord für den Weltfrieden
Apropos Fliegen: Außer uns sind vermutlich echt fast alle zum Kongress geflogen (wir sind Zug gefahren). Was ja beachtlich ist, denn ständig quatschten da alle von Klimawandel, und das der böse sei. Wenn man den Klimamord-Beitrag des Kongress ansprach, entgegneten die in der Regel von NGOs oder Unis bezahlten Konferenz-Tourist*innen Sätze wie: „Oh, das ist ja schön, das ihr die Zeit habt, mit dem Zug zu fahren. Wie wunderschön!“ Das ist ein Missverständnis: Wir haben die Zeit nicht, wir nehmen die Zeit von unseren sonstigen Zeit-Budgets. Es ist schon ganz schön strange, dass ausgerechnet die Leute, die für Friedensarbeit bezahlt werden, keine Zeit haben, angemessen zu einem World-Peace-Kongress anzureisen.

Antisemitismus kein Thema?
In unseren Augen besteht beim International Peace Bureau deutlicher Handlungsbedarf beim Thema Antisemitismus. Zwar haben wir nicht wie von uns befürchtet krasse Hassveranstaltungen erlebt. Neben der häufigen Thematisierung von Rassismus und Sexismus fällt aber auf, das auf der ganzen Veranstaltungen des Kongress Antisemitismus einfach kein Thema war.

Fehlende Sensibilisierung bei Israel-Hass
Zudem erlebten wir regelmäßig eine fehlenden Sensibilisierung in Bezug auf Antisemitismus. In vielen Veranstaltungen trafen wir Klugscheißer*innen, die anmerken mussten, dass es bei all den Beispielen aus USA, Deutschland, Frankreich usw. auch wichtig sei, noch mal zu erwähnen, dass ja auch Israel total böse ist. In der Regel widersprachen die Referent*innen den dabei auftretenden typischen Doppelstandards in Bezug auf Israel nicht. Im besten Fall moderierten die Verantwortlichen verlegen ab, meistens ließen sie in Bezug auf Antisemitismus problematische Statements einfach im Raum stehen.

Täter-Opfer-Umkehr
Einen besonders krassen Fall mangelnder Sensibilität bezüglich Antisemitismus und Israelhass erlebte ein AMAB-Mitglied im Workshop „Nonviolent Journalism“. Die referierende Person war sich nicht zu blöd, erst einfach so nebenbei völlig ohne Bezug zum Thema rauszuhauen, dass Jeremy Corbyn kein Antisemit sei, sondern dass es sich um eine Kampagne unbekannter mächtiger Kreise handle, was a) Quatsch und b) klassisches Verschwörungsdenken ist. Nach einer Kritik gab die Person zu, sich überhaupt nicht mit den Vorfällen auseinander gesetzt zu haben und trotzdem große Sprüche zu kloppen. Auch bei den anschließenden Täter-Opfer-Umkehr-Sprüchen aus dem Publikum („Antisemitismuskritiker*innen sind die wahren Antisemit*innen“) widersprach die den Workshop leitende Person nicht (detailierter Bericht zum Workshop „Nonviolent Journalism“).

Unser neues Reiner-Bild
Vom Stopp-Ramstein-Papst und IBP-Geschäftsführer Reiner Braun konnten wir in Barcelona ein neues Bild gewinnen. Im Vorfeld der Reise hatten wir uns intensiv mit seinem Wirken bei „Stopp Ramstein“ auseinander gesetzt, nächtelang Reiner-Videos geschaut. Darauf basierend haben wir eine lange Kritik entwickelt, warum seine rechtsoffenen Posersprüche und seine Einladungen zur solidarischen Debatte mit Holocaust-Relativierer*innen krass uncool sind:

https://amab.blackblogs.org/2021/07/08/reiner-braun-oder-was-ist-rechtsoffen/

Reiner für Klima, Feminismus und Antira
In Barcelona trafen wir einen völlig anderen Reiner. Statt sich Nazis, Faschisten und Coronaleugnern an die Brust zu werfen, redete Reiner ständig von Klima und wie wichtig das ist. Auch adressierte er ständig Antirassismus und Feminismus. Nicht nur das: In einem Workshop pöbelte ein alter weißer Mann rum, dass sich die jungen Leute nur noch für „race and gender“ interessieren würden, aber nicht mehr für „class“. Dabei vergriff er sich leider im Ton und ausgerechnet Reiner sah sich genötigt, den Herrn zu ermahnen. Bei uns ging da die Frage an, was wohl seine rechtsoffenen „Stopp Ramstein“-Kumpel*z von so einer Performance halten würden. Wir sehen in Reiner seit Barcelona keinen rechten Populisten mehr, sondern eher einen Opportunisten, der sich einfach allen an den Hals schmeißt, die nicht schnell genug in Deckung gehen.

Black Lives Matters
Eine deutliche Portion Opportunismus steckt in unseren Augen auch in der Preisverleihung an Black Lives Matters. Bitte nicht missverstehen: Das Aufbegehren gegen rassistische Polizeigewalt ist definitiv preiswürdig. Wir vermissen jedoch beim IPB z.B. eine Positionierung zu Dessau oder den viele anderen vergleichbaren Fällen von rassistischen Gewalt- und Mordtaten durch deutsche Beamte. Warum vergeben die Leute einen Preis für das Wirken gegen rassistische Polizeigewalt irgendwo weit weit weg, wenn sie sich noch nie mit rassistischer Polizeigewalt vor ihrer Haustür auseinander gesetzt haben?

Polizeigewalt im Alltag kein Thema
Beim Jugendforum war diese beim Thema Polizeigewalt zutage tretende kulturelle Kluft zwischen erfolgreichen Akademiker*innen und Aktivist*innen spürbar. Auf der in diesem Rahmen stattfindenden Stadtführung machten die jungen Leute aus Barcelona vor einem Polizeirevier halt und wollten über die dort stattgefundene Polizeigewalt und Folter berichten. Aufgrund der großen Gruppe wurden die Wachposten vor dem Gebäude recht schnell aufmerksam, was die Kidz aus Barcelona berechtigterweise verunsicherte. Die anwesenden selbsternannten „Young Peace Leaders“ waren hingegen eher davon verunsichert, dass sie sich mit einer Weltsicht auseinander setzen mussten, in der Cops keine Freunde und Helfer sind.

Fazit
Hat sich der Kongress gelohnt? Für uns auf jeden Fall. Wir haben viel erlebt und viel gesehen, und viele spannende Leute aus anderen Ländern getroffen, siehe die detaillierten Veranstaltungsberichte auf unserem Blog. Außerdem zeigt der Kongress, dass Bewegungen diverser werden, wenn man im Veranstaltungsprogramm ernsthaft versucht, Diversität abzubilden. Ob der Kongress reale Effekte auf den World Peace hat? Für unsere Arbeit leider eher weniger, da die Bewegungs-Straßenköter*innen aus anderen Ländern fehlten. Hoffentlich hat der Kongress wenigstens positive Auswirkungen auf die Karrierewege der anwesenden Hauptamtlichen aus NGOs und Wissenschaft.

Mehr Infos:

Unsere Kritik an Reiner und seiner Solidarität mit Holocaust-Verharmloser*innenn und anderem rechtem Igittigitt bei Stopp Ramstein:

Reiner Braun oder Was ist rechtsoffen?

Unsere Berichte vom World Peace Congress:

Auf nach Barcelona! Die Hinfahrt:
https://amab.blackblogs.org/2021/10/13/483/

Offene Plätze und chloriges Wasser. Unsere Aklimatisationsschwierigkeiten auf dem Youth Forum:
https://amab.blackblogs.org/2021/10/16/offene-plaetze-und-chloriges-wasser-unsere-aklimatisationsschwierigkeiten-auf-dem-youth-forum/

Workshopbericht Racism and War: Breaking the Cycles of Violence:
https://amab.blackblogs.org/2021/10/16/workshop-racism-and-war-breaking-the-cycles-of-violence-12-1330-uhr/

Bericht Workshop Nonviolent Journalism:
https://amab.blackblogs.org/2021/10/16/bericht-workshop-nonviolent-journalism/

Hendryks Tag:
https://amab.blackblogs.org/2021/10/21/hendriks-tag/

Workshop: Film Teaser & Discussion. 7 Myths that Sustain the Global Arms Trade:
https://amab.blackblogs.org/2021/10/21/workshop-film-teaser-discussion-7-myths-that-sustain-the-global-arms-trade/

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